Etwa 43 Millionen Schadensfälle ereignen sich laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich weltweit im Gesundheitswesen – statistisch gesehen sind davon 28,6 Millionen auf menschliche Fehler zurückzuführen und wären somit vermeidbar. Davon werden wiederum sieben bis 23 Millionen durch schlechte Kommunikation verursacht.
Wie können Ärzte und Patienten sowie Mitarbeiter in Gesundheitseinrichtungen "sicherer" miteinander kommunizieren, um diese Statistik vermeidbarer Schadensfälle zu reduzieren? Darüber tauschen sich Experten auf einer Pressekonferenz des Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. (APS) am 14. September in Berlin aus. Anlass ist der 3. Internationale Tag der Patientensicherheit (ITPS) am 17. September.
Die Struktur des Gesundheitswesens weist große Hürden für eine gelungene Gesprächsführung auf. "Intensiver Zeitdruck, zwischenmenschliche Hierarchien, emotionale Inhalte und viele verschiedene Teilnehmer mit diversen Hintergründen – all diese Faktoren erschweren eine erfolgreiche Kommunikation", sagt Prof. Dr. Annegret F. Hannawa, Professorin für Kommunikationswissenschaften an der Universität Lugano in der Schweiz. "Missverständnisse und Konflikte sind in einer solchen Situation unvermeidlich." Gleichzeitig sei genau dann ein besonderes Bedürfnis für eine angemessene und effektive Kommunikation vorhanden – deshalb seien kompetente zwischenmenschliche Fähigkeiten in der Gesundheitsversorgung unentbehrlich.
Nach Ansicht der Expertin erhöhen sich die Chancen für eine erfolgreiche medizinische Betreuung enorm, wenn alle Beteiligten "sicher" miteinander kommunizieren. Dafür seien zwei Schritte notwendig: Zum einen ein gutes Grundverständnis dafür, zum anderen die Beherrschung von fünf Kern-kompetenzen. Damit alle Involvierten eine gute Kommunikationsbasis erreichen können, empfiehlt Hannawa: "Ob als Arzt oder als Patient: Wer im Gesundheitswesen sichere Gespräche führen möchte, sollte nie voraussetzen, dass eine Kommunikation bereits stattgefunden hat. Zudem sollte nie davon ausgegangen werden, dass ein bereits durchgeführter Austausch auch zu einem gemeinsamen Verständnis geführt hat." Vielmehr sei es empfehlenswert anzunehmen, dass sich ein gemeinsames Verständnis erst im Laufe der Gesprächsführung etabliere.
Wenn alle Beteiligten eine Basis für eine sichere Kommunikation erreicht haben, rät die Expertin in einem nächsten Schritt dazu, sich fünf Kernkompetenzen anzueignen. Diese lassen sich unter dem Begriff "SACCIA" zusammenfassen. SACCIA steht für Sufficiency (Suffizienz), Accuracy (Richtigkeit), Clarity (Klarheit), Contextualization (Kontextualisierung) und Interpersonal Adaptation (zwischenmenschliche Anpassung). Die Kommunikationsexpertin Hannawa erläutert die ersten beiden Kernkompetenzen "Suffizienz" und "Richtigkeit" folgendermaßen: "Wer Gespräche im Gesundheitswesen führt, sollte erstens immer sichergehen, dass alle verfügbaren Informationen auch im Gespräch behandelt werden. Zudem sollte die Kommunikation dafür verwendet werden, um sicherzustellen, dass die besprochenen Informationen auch korrekt sind." Als dritte wichtige Kernkompetenz legt Hannawa allen Beteiligten nahe, sich klar auszudrücken, mehrdeutige Informationen zu klären und eventuelle Unklarheiten aus dem Weg zu schaffen. Die vierte Kernkompetenz bestünde darin, bei der Gesprächsführung stets auch den Kontext zu berücksichtigen. So sei es ratsam, während der Kommunikation auch den Zeitpunkt, die verfügbare Zeit, die zwischenmenschliche Beziehung, die Umgebung sowie eventuelle kulturelle Barrieren im Blick zu haben – und die Gesprächsführung darauf abzustimmen. "Auch emotionale und kognitive Bedürfnisse des Gesprächspartners – die sowohl verbal als auch nonverbal geäußert werden können – spielen eine wichtige Rolle", meint die Kommunikationswissenschaftlerin. "Ich rate dazu, möglichst zielführend auf diese Bedürfnisse einzugehen." Diese fünf Kernkompetenzen für eine "sichere Kommunikation" hat Professor Hannawa kommunikations-wissenschaftlich aus Hunderten von analysierten Fallbeispielen abgeleitet. Sie stellen somit einen neuen evidenzbasierten Grundbegriff für die Patientensicherheit dar.
Kommunikation im Gesundheitswesen – das ist in diesem Jahr das Thema des 3. Internationalen Tages der Patientensicherheit (ITPS) am 17. September 2017. "Unter dem Motto 'Wenn Schweigen gefährlich ist' sind Gesundheitseinrichtungen in Deutschland und weltweit rund um den Aktionstag aufgerufen, zu zeigen, wie eine sichere Kommunikation im Gesundheitswesen funktionieren kann", sagt Hedwig François-Kettner, Vorsitzende des APS. Geplant sind Aktionen wie Tage der offenen Tür, Podiumsdiskussionen, Informations- und Weiterbildungsveranstaltungen. Veranstalter der deutsch-österreichischen-schweizerischen Gemeinschaftsaktion sind das APS (D), die Plattform Patientensicherheit (A) sowie die Stiftung für Patientensicherheit (CH). Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe unterstützt den Gedanken des Aktionstages – und hat bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dafür geworben, den 17. September offiziell als "Internationalen Tag der Patientensicherheit" anzuerkennen. Das Engagement zeigte Erfolg – denn die anderen beteiligten Minister unterstützten die Initiative.