Anfang des Monats haben AugenärztInnen des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität die erste Gentherapie zur Behandlung einer erblich bedingten Netzhauterkrankung erfolgreich durchgeführt. Der Patient wurde hierfür mit dem kürzlich zugelassenen Wirkstoff Voretigen Neparvovec behandelt.
Eine Vielzahl von Genen sind mit Erkrankungen der Netzhaut assoziiert. Beim Krankheitsbild der Leber’schen hereditären Amaurose (LCA) handelt es sich um eine genetisch heterogene Gruppe von Netzhauterkrankungen, deren Gemeinsamkeit ein fortschreitender Untergang an funktionalem Netzhautgewebe ist. Betroffene leiden unter einer Netzhautdegeneration, die von einer Gesichtsfeldeinschränkung mit Sehverlust bis hin zur kompletten Erblindung führen kann.
Das neue Therapeutikum markiert den Beginn einer neuen Ära in der Augenheilkunde. "Endlich können wir Krankheiten behandeln, die bisher nicht behandelbar waren. Mit dem Einzug der Gentherapie in den klinischen Alltag werden wir in Zukunft für eine wachsende Anzahl an erblich bedingten Augenleiden eine kausale Therapieoption anbieten können", so Professor Priglinger, Direktor der Augenklinik der LMU.
Der Vorsitzende von PRO RETINA Deutschland e.V., der ältesten und renommiertesten Patientenorganisation für Menschen mit Netzhautdegenerationen, Franz Badura, weiß als selbst Betroffener am besten Bescheid über die Sorgen und Nöte der Patienten und ergänzte: "Für die zumeist jungen Betroffenen einer solch schwerwiegenden seltenen Netzhauterkrankung und für ihre Angehörigen ist der Einsatz der Gentherapie ein ganz wichtiger, großer Meilenstein, weckt Hoffnung und eröffnet erstmals Chancen auf eine Verbesserung ihres Sehens.“
Die Gabe des Gentherapeutikums umfasst eine operative Einbringung des Medikaments im Rahmen einer pars-plana Vitrektomie. Bei dieser Operation wird der Glaskörper entfernt, dies ermöglicht dem Operateur einen barrierefreien Zugang zur Netzhaut. Mit einer nur 0,1 mm im Durchmesser messenden Injektionskanüle wird dann das in einem Trägermaterial gelöste Gentherapeutikum mit einem Volumen von 0,3 ml unter die Netzhaut gespritzt.
Mittels speziell modifizierter nicht-krankheitsauslösender Adeno-assoziierter Viren als Träger gelangt eine gesunde Kopie des erkrankten RPE 65 Gens zu den Zielzellen der Netzhaut. Dort angekommen kann von den Zielzellen ein funktionstüchtiges Protein produziert und so der physiologische Sehzyklus wiederhergestellt werden.
Mit dem neuen Therapeutikum steht nun erstmals eine Gentherapie für Betroffene zur Verfügung, bei denen biallelische Mutationen im sogenannten RPE65 Gen für die Erkrankung ursächlich sind. Dieses Gen ist für die Bildung des für den Sehzyklus unersetzlichen Enzyms Retinoid-Isomerohydrolase verantwortlich, das in der Netzhaut für die Regeneration von 11-cis-Retinal verantwortlich ist. 11-cis-Retinal ist als Chromophor ein essentieller Bestandteil lichtempfindlicher Sehpigmente (Opsine), die als Lichtrezeptoren fungieren und damit für den Sehvorgang unabdingbar sind. Ist das Enzym in seiner Funktion beeinträchtigt oder fehlt es, können Lichtreize nicht zu einem physiologischen Seheindruck verarbeitet werden, was zu hochgradiger Sehminderung oder sogar zur vollständigen Blindheit führen kann.