esanum: Frau Dr. Pirmorady-Sehouli, Sie stellen auf dem ESGO Kongress kreatives Schreiben als Chance für Patientinnen mit gynäkoonkologischen Erkrankungen vor. Was wollen Sie erreichen?
Ich bin sehr glücklich, dass auf diesem großen Kongress, bei dem Spezialisten und Fachgesellschaften zum Thema Frauengesundheit zusammenkommen, auch die Psyche in den Fokus gerückt wird. In unserem Fach, der Psychosomatik, ist es ganz selbstverständlich, dass es Gesundheit und Heilung ohne ganzheitliche Integration der Psyche gar nicht geben kann. Aber es scheint doch so, dass in der heutigen, sehr diagnostisch ausgerichteten, numerischen Medizin die Psyche zu kurz kommt und eben den Psychologen überlassen wird. Wir dagegen verbinden Körper und Geist miteinander und wissen, dass wir nur dann gesund und gut behandeln können, wenn diese Integration stattfindet. Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass wir mit unserem Verein, der Europäischen Künstlergilde für Medizin und Kultur, ganzheitliche Behandlungsansätze auf dem ESGO vorstellen können.
esanum: Worum geht es in Ihrem Workshop konkret?
Den Workshop wird die Schreibtherapeutin Susanne Diehm aktiv begleiten. Sie setzt das Schreiben ein, um selbstreflektive Prozesse anzustoßen. Frau Diehm begleitet Karzinompatientinnen schon seit langem in der Frauenheilkunde der Charité. Davor wird es eine kurze theoretische Einführung meinerseits über die Bedeutung von Kreativität in Heilungsprozessen geben.
esanum: Welche Erfahrungen wurden damit schon gesammelt?
Das gehört zur Arbeit unseres Vereins: Wir wollen das Ganze nach evidence based Medicine systematisieren und publizieren. Es laufen gerade einige Studien zu Kreativtherapie und Bibliothekstherapie. Und es gibt auch bereits Studien zum Benefit der Kreativtherapien – dazu gehören auch das Schreiben, die Kunsttherapie, die Musiktherapie. Es zeigt sich, dass all diese Therapieformen immer einen positiven Outcome bieten, dass Patientinnen sehr profitieren.
esanum: Wie wird das kreative Angebot an die Patientinnen herangebracht?
Zunächst brauchen die Patientin die Bereitschaft, sich selbstreflektiv auseinandersetzen zu wollen. Dies wird oft durch eine Krise oder einen Leidensdruck ausgelöst. Eine Krebsdiagnose kann als eine solche Krise verstanden werden. In der Krise ist ein erster Therapeutenkontakt haltgebend, so wie auch in der psychoonkologischen Versorgung vorgesehen. In diesen Erstkontakten kann eruiert werden, welche Kreativtherapie das richtige für die Patientin ist. An der Frauenklinik der Charité werden die Kunsttherapie, aber auch das Kreative Schreiben angeboten. An anderen Kliniken gibt es oft noch die Musiktherapie oder Körperwahrnehmungstechniken. Sodass Patientinnen und Patienten gut ins Erleben geführt werden können, was wiederum die Heilungsprozesse fördern kann.
esanum: Wie sieht die Kreativ-Therapie praktisch aus?
Es können Texte mit der Schreibtherapeutin geschrieben werden, es können aber auch Bilder entstehen oder Musik interpretiert werden. Grundlage ist eine zertifizierte Ausbildung der Therapeutin. Es gibt einen Rahmen, mit fester Zeit und sicherem Ort, sowie klare Regeln zum Umgang miteinander. Dazu gehört die professionelle Distanz, das Mitgefühl, die Zuwendung, die geboten wird – und mit dieser Haltung werden die Texte gemeinsam mit der Patientin angeschaut. Das vermittelt Halt, der dann verinnerlicht werden kann. Dadurch hat die Patientin die Möglichkeit, nachzureifen. Sie macht Erfahrungen, die sie vorher so noch nicht hatte. Die Technik, ob Schreiben oder Malen, ist dabei eher zweitrangig.
esanum: Was passiert dadurch mit der Patientin?
Der Erfolg ist, dass unbewusste Anteile, die auf neuronalen Bahnungen basieren, reflektiert und verstanden werden – und auf achtsame Weise hinterfragt werden. Patientinnen können auf diese Weise ein Verständnis dafür entwickeln, dass es das Unbewusste gibt. Und dann kann man diese Kräfte nutzen. Das ist gemeint, wenn immer gesagt wird: Akzeptiere dich, wie du bist. Das klingt so einfach, ist es aber nicht. Es bedeutet wirklich, dass man sehr gründlich reflektiert und sich selbst verstehen lernt.
esanum: Wie werden diese Angebote angenommen?
Sehr gut, ca. zwei Drittel nehmen das Angebot einer Kreativtherapie an. Wir sehen die Kreativtherapie auch als erste Möglichkeit, im Anschluss oder parallel dazu eine Gesprächstherapie mit den Patientinnen und Patienten zu beginnen. Denn damit kann man das Erlebte dann verbalisieren und erlebbar machen. In einer großangelegten Studie zu langzeitüberlebenden Frauen, der Survivorship Clinic, haben wir erste Daten darüber gewinnen können, dass das Aufnehmen einer Kreativtherapie zunächst einfacher fällt, als die Aufnahme beispielsweise einer tiefenpsychologischen Gruppentherapie, weil die Hemmschwelle niedriger ist. Unsere Studie ist noch nicht abgeschlossen, Ende nächsten Jahres werden wir mehr wissen.
esanum: Und wie akzeptieren die Mediziner Ihre Angebote?
Oft noch zögernd. Aber die Akzeptanz, die Seele einzubeziehen, nimmt zu. Es gibt ja eine große Hilflosigkeit bei somatoformen Störungen, wo Ärzte suchen und suchen und nichts Messbares finden können. Wenn der Patient leidet, der Arzt aber nichts sehen kann, wird immer nach den Psychosomaten gerufen. Dadurch werden Mediziner allmählich offener für Dinge wie Kreativtherapien. Es gibt mittlerweile viele Kliniken wie unsere, das Virchow Klinikum der Charité, die damit arbeiten. Aber es können gern mehr werden.