Wie schätzen Expertinnen und Experten auf den Gebieten der Virologie, Mikrobiologie, Hygiene, Tropenmedizin, Immunologie sowie der Inneren Medizin/Intensivmedizin die derzeitige Gefahrenlage und die getroffenen Maßnahmen bezüglich der aktuellen COVID-19-Pandemie ein? Wie sicher oder belastbar gilt der aktuelle Wissensstand? Das versuchen Forschende der Universitätsklinika Tübingen und Hamburg-Eppendorf mit einer Befragung herauszufinden. Eine Zwischenauswertung zeigt nun erste Ergebnisse.
Die befragten MedizinerInnen und WissenschaftlerInnen befürworten die Aufrechterhaltung der Abstandsregeln und das Verbot von Großveranstaltungen – dies geht aus den Zwischenergebnissen der Experten-Umfrage hervor.
Bei der Befragung wurden die Rückmeldungen von 178 ProbandInnen ausgewertet und zudem mit den Ergebnissen einer Erstbefragung mit 197 Personen gegenübergestellt. Über eine anonyme online-Befragung haben ExpertInnen aus den Fachgebieten der Virologie, Mikrobiologie, Hygiene, Tropenmedizin, Immunologie, Inneren Medizin und Intensivmedizin mit abgeschlossener Berufsausbildung teilgenommen. Die Resultate sind als Meinungsbild zum aktuellen Zeitpunkt in Deutschland zu bewerten.
Die aktuelle Umfrage zeigte, dass mehr als 70% der Befragten die Abstandsregel von zwei Metern sowie das Verbot von Großveranstaltungen als potentielle Maßnahme zur Kontrolle und Eindämmung von SARS-CoV-2 befürworten und sogar favorisieren. Kitas- und Schulschließungen sieht dagegen nur ein relativ kleiner Teil als wichtige Maßnahme an (weniger als 5%).
Die Ergebnisse bezüglich der Sinnhaftigkeit von Mund-Nasen-Bedeckung sind sehr ambivalent: Obwohl häufig als Maßnahme genannt, werden sie doch nur selten als wichtig priorisiert. Harte wissenschaftliche Belege für die Schutzwirkung von Masken, ob professioneller Mund-Nasen-Schutz oder selbst hergestellte ("Alltags")-Atemmasken, sind den wenigsten Experten bekannt. Über 70% sehen hingegen eher Risiken durch falsche Handhabung der Masken.
"In diesem Zusammenhang hat uns die diskrepante Haltung gegenüber dem Thema Atemmasken überrascht. Obwohl keine oder widersprüchliche Evidenz zu deren Schutzwirkung bekannt ist, befürwortet ein Großteil das Tragen z. B. im ÖPNV", kommentierten die StudienautorInnen und ergänzten: "Auch WissenschaftlerInnen sind nur Menschen und scheinen bei einigen Themen eher ihrem Bauchgefühl zu vertrauen."
Die Zustimmung zu den von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen ist gesunken und wird zum aktuellen Zeitpunkt nur noch zu 50,1% befürwortet – bei einer Erstbefragung im März waren dies noch 80,7%. Die Aussage, das öffentliche und wirtschaftliche Leben wiederherzustellen, im Alltag jedoch weitestgehend Atemmasken zu nutzen, befürworten 62,9%, bei der Erstbefragung lag diese Zahl noch bei 16,8%.
Die Rolle der Medien wird zunehmend kritisch eingestuft und nur noch von 59% als sachlich empfunden (Erstbefragung 79,7%). Die ExpertInnen vermissten eine ausgewogene Berichterstattung (82,6%) – zu oft würden die gleichen befragt. Außerdem, so die Aussage von 62,9%, fehle eine konstruktive Fachdiskussion mit unterschiedlichen Positionen der ExpertInnen.
Jeder zehnte Befragte beklagte sich zudem über eine sehr restriktive Informationspolitik einiger Universitäten, sogar ein Drittel aller Fachleute sieht die freie Meinungsäußerung in der Wissenschaft als bedroht. Ein aus Sicht der WissenschaftlerInnen bedenkliches Ergebnis. Wenn sich ein Drittel des Fachkollegiums in seiner freien Meinungsäußerung bedroht sieht, sollten wir alle gemeinsam unsere Diskussionskultur grundsätzlich hinterfragen, so die AutorInnen.
Wenig oder gar nicht verändert hat sich die Einschätzung der Fachleute zu Verlauf und Schwere der Erkrankung. Im Durchschnitt gehen sie von einer Ansteckung von bis zu 50% der Bevölkerung mit dem Coronavirus aus. Die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung wird bei etwa 5% gesehen mit einer Sterblichkeit von 1%.