Financial Toxicity, Fehler bei der Chemotherapie-Verordnung und Adhärenz von Myelompatienten

Daten zur finanziellen Belastung von Krebspatienten, zur Adhärenz von Patienten mit Myelom an ihre orale Therapie sowie zu Fehlern bei der Verordnung von Chemotherapien waren einige Themen der Sitzung zur Versorgungsforschung beim DGHO-2017-Kongress in Stuttgart.

Prospektive Primärdatenerhebung unter Patienten deckt auf

Daten zur finanziellen Belastung von Krebspatienten, zur Adhärenz von Patienten mit Myelom an ihre orale Therapie sowie zu Fehlern bei der Verordnung von Chemotherapie-Protokollen waren einige Themen der Sitzung zur Versorgungsforschung beim DGHO-2017-Kongress am 30. September in Stuttgart.

Die Diagnose Krebs bedeutet für Patienten nicht nur physische und psychische, sondern auch finanzielle Belastungen. In den USA ist die so genannte Financial Toxicity schon weit untersucht, hier konnte sogar eine Assoziation mit der Sterblichkeit gezeigt werden. in Deutschland gibt es dazu bislang nur wenige Daten.

Die finanzielle Belastung der Krebskranken erhöht sich zum Beispiel durch Mehrausgaben, beispielsweise für Kinderbetreuung, Haushaltshilfen, Fahrtkosten oder auch Zuzahlungen. Erschwerend kommt hinzu, dass das Einkommen mit Krankengeld oder gar Frühverrentung und Arbeitslosengeld sinkt.

Prof. Dr. Dr. Eva Winkler vom Nationalen Centrum für Tumorkrankheiten, Universitätsklinikum Heidelberg, stellte eine prospektive Studie vor, in der in zwei Stufen die finanziellen Auswirkungen einer Krebserkrankung bei Patienten mit neuroendokrinen Tumoren (NET) und Kolorektalkarzinom (KRK) untersucht wurden. In einer prospektiven Primärdatenerhebung wurden die Patienten mit Fragebögen schriftlich zu Einkommensveränderungen, Mehrausgaben, Distress und Lebensqualität befragt. Im zweiten, bislang noch nicht durchgeführten Teil der Untersuchung werden in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement der Universität Bielefeld die Daten retrospektiv mit Krankenkassendaten abgeglichen.

Von den 247 Patienten litten 49,4 % an einem NET und 50,6 % an einem Kolorektalkarzinom. 65 % waren Männer, 35 % Frauen, sie waren im Mittel 61,3 Jahre alt. 70 % waren nicht berufstätig.

80,6 % der Patienten gaben an, dass sie infolge der Erkrankung Mehrausgaben haben, diese betrugen bei 38 % unter 100 Euro im Monat, bei weiteren 38 % zwischen 100 und 200 Euro pro Monat. Sehr viel gravierender waren die Einkommenseinbußen unter denen 37,2 % der Patienten litten, denn in 36 % der Fälle lagen diese über 1.200 Euro/Monat. Auch aus finanziellen Gründen sollte sich der behandelnde Arzt deshalb gut überlegen, ob er seinem Patienten damit hilft, wenn er die Frühverrentung befürwortet.

Rund 40 % der Patienten gaben an, dass sie wegen ihrer Krebserkrankung im Alltag sparen müssen, wobei 90 % ihr Freizeitverhalten geändert hatten, aber immerhin 21,4 % an medizinischen Behandlungen und Zusatzleistungen sparten. Mit steigenden Ausgaben und der Notwendigkeit zum Sparen erhöhte sich die durch die Krebserkrankung empfundene Belastung.

Adhärenz bei oraler Therapie

Für die Behandlung von Krebserkrankungen stehen zunehmend oral applizierbare Medikamente zur Verfügung. Damit werde die Adhärenz zu einem Thema, das grundlegend für den Erfolg, die Sicherheit und die Effektivität der Therapie sei, erläuterte Dipl.-Psych. Stefan Feiten, Institut für Versorgungsforschung, Koblenz.

Adhärent sind die Patienten dann, wenn sie keine Medikamente auslassen oder vergessen, keine zusätzlichen oder Medikamente in der falschen Dosierung oder zur falschen Zeit nehmen. Es gibt zwar zahlreiche Studien zur Adhärenz, aber derzeit existiert immer noch kein Gold-Standard für die Messung der Adhärenz. Alle methodischen Ansätze haben Schwächen. Es wird daher eine Kombination von mehreren methodischen Ansätzen empfohlen, um eine möglichst genaue Messung zu erhalten. Feiten stellte eine Analyse vor, in der die Therapieadhärenz von Myelom-Patienten untersucht wurde, die in 7 Schwerpunktpraxen für Hämatologie und Onkologie mit immunmodulierenden Substanzen wie Lenalidomid, Pomalidomid oder Thalidomid oral behandelt wurden. Hierzu wurden 93 Patienten und 52 Angehörige standardisiert, computergestützt persönlich befragt. Zusätzlich wurden die behandelnden Onkologen befragt sowie relevante Behandlungsdaten aus den Patientenakten retrospektiv ausgewertet.

Die 66 % Männer und 34 % Frauen waren im Median 72 Jahre alt, 80 % lebten nicht allein, 16 % lebten allein, 4 % waren in dieser Hinsicht nicht auswertbar. Die Patienten erhielten laut Verordnungsplan im Median insgesamt 9 verschiedene Medikamente. Unter den immunmodulierenden Substanzen nahmen die meisten Patienten Lenalidomid (74 %), gefolgt von Pomalidomid (13 %) und Thalidomid ( 8 %), wobei 83 % spontan und völlig korrekt angeben konnten, welches ihrer Medikamente für die Myelombehandlung vorgesehen war.

Die Zuverlässigkeit der Einnahme schätzten sowohl die Patienten selbst als auch die behandelnden Ärzte mit rund 98 % als sehr hoch ein. Die Adhärenzberechnung anhand der Rezeptdaten (T-Rezepte) war bei 78 % der Patienten möglich, sie ergab einen Mittelwert von 98% und einen Median von 100 %.

Diese erfreulich hohe Adhärenz lässt sich unter anderem damit erklären, dass es sich beim multiplen Myelom um eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt, und Patienten sowie Angehörige an einer erfolgreichen Therapie größtes Interesse haben. Zudem werden die Patienten relativ engmaschig betreut.

Fehler bei der Chemotherapie-Verordnung

An der Universitätsklinik Freiburg werden Chemotherapien über eine elektronische Datenbank verordnet und durch das Team der Clinical Cancer Research Group (CCRG) in enger Zusammenarbeit mit der Klinikapotheke geprüft, wie Apothekerin Heike Reinhardt, Klinik für Innere Medizin I, Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation, Universitätsklinikum Freiburg, berichtete. Jeder Fehler bei der Verordnung wird sofort berichtet, korrigiert und im System erfasst.

Prospektiv wurden nun die Fehler aus den Jahren 2013 und 2014 analysiert, wobei Ziel war, die Art der Fehler und daraus folgende Konsequenzen festzustellen. In diesem Zeitraum traten bei 375 Chemotherapie-Bestellungen 406 ausgewertete und vermiedene Fehler auf. Fehler waren häufiger, wenn es sich nicht um Standard-Protokolle handelte und das Protokoll eher komplex war. Häufigster Fehler war mit 13,5 %, dass eine Dosismodifikation aus dem Vorzyklus übersehen oder nicht umgesetzt wurde. Viele Fehler wären deshalb durch eine Überprüfung der vorherigen Anforderung vermeidbar gewesen. In 10,3 % wurde der falsche Therapieabstand gewählt, in 5,9 % der Fälle wurde versäumt, die Dosierung an die Nierenfunktion anzupassen.

Der Fehler hätte in 51,3 % der Fälle zu einer Überdosierung und in 14,9 % zu einer Unterdosierung der Chemotherapie geführt. Die Arbeitsgruppe errechnete, dass durch Vermeidung der Fehler 4 mögliche Todesfälle, 417 stationäre Tage, 126 Ambulanzkontakte und etwa 140.000 Euro Arzneimittelkosten vermieden werden konnten.

Referenzen:
1. Winkler E, et al. Krebs und finanzielle Auswirkungen am Beispiel von Patienten mit neuroendokrinen und kolorektalen Tumoren – wie wirkt sich eine chronische Erkrankung auf die wirtschaftliche Situation der Patienten aus? DGHO 2017, Stuttgart, V41.
2. Feiten S, et al. Einschätzung der Adhärenz von Myelom-Patienten, die eine orale Therapie mit einer immunmodulierenden Substanz in Schwerpunktpraxen für Hämatologie und Onkologie erhalten. DGHO 2017, Stuttgart, V44.
3. Reinhardt, H, et al. Auswertung 406 vermiedener Chemotherapiebestellfehler bei 18.823 Chemotherapiebestellungen: Bewertung der Risiken, potentiellen Konsequenzen und Vermeidbarkeit durch eine optimierte und übertragbare Chemotherapiemanagementsoftware. DGHO 2017, Stuttgart, V45.