"Wenn ein schwerstkranker Mensch aus freiem Entschluss nicht mehr essen und trinken will, um sein Sterben zu beschleunigen, dann ist das zu respektieren." betont Prof. Dr. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Es sei keine strafbare Handlung, die selbstbestimmte Entscheidung unerträglich leidender Menschen medizinisch zu begleiten, heißt es in einem aktuellen Positionspapier des Vorstandes der Fachgesellschaft gemeinsam mit weiteren Expertinnen und Experten. Vielmehr würde es den Straftatbestand der Körperverletzung erfüllen, einen Menschen gegen seinen Willen zu ernähren.
Dennoch kann die Begleitung eines Entschlusses zum "Sterbefasten" bzw. freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken (FVET) "komplexe und herausfordernde Probleme im Umgang mit dem schwerstkranken Menschen, seinen Angehörigen oder auch dem Team der Hospiz- und Palliativversorgung zur Folge haben." erläutert DGP-Vizepräsident Dr. Bernd-Oliver Maier, Chefarzt für Interdisziplinäre Onkologie und Palliativmedizin. Die Entscheidung ist für die unmittelbar Beteiligten oft sehr schwer auszuhalten, deshalb sollten neben dem Betroffenen die An- und Zugehörigen wie auch das Behandlungsteam während der Begleitung im Gespräch gehalten und umfassend unterstützt werden. Wesentlich sei, auf Anfrage Informationen zum FVET, zum zeitlichen Verlauf, zu möglichen Folgesymptomen, Komplikationen und deren Behandlungsoptionen zur Verfügung zu stellen – ohne Einfluss auf die Entscheidung nehmen zu wollen, welche ausschließlich die Betroffenen selbst treffen.
Das im Deutschen Ärzteblatt erstveröffentlichte Positionspapier befasst sich ausschließlich mit der freiwilligen Entscheidung von PatientInnen mit lebensbedrohlichen oder lebenslimitierenden Erkrankungen, welche auf diese Weise den Sterbeprozess einleiten wollen. Einige verzichten auf Nahrung, andere zusätzlich komplett auf Flüssigkeit, manche nehmen noch geringe Trinkmengen zu sich – auch über Art und Umfang des Verzichts entscheidet allein die Patientin oder der Patient.
FVET ist kein neues Phänomen und begegnet insbesondere Begleitenden in stationären Pflegeeinrichtungen häufig. Vor allem die Diskussion um Sterbehilfe hat auch dazu geführt, dass um die Bewertung von FVET gerungen wurde. Das DGP-Positionspapier kommt zu dem Schluss: "Freiwilliger Verzicht auf Essen und Trinken ist nicht als Suizid zu bewerten."
Wesentlich ist die Klärung, ob und in welchem Umfang weiterhin Essen und Trinken angeboten werden sollen, um den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, ihren Entschluss jederzeit revidieren zu können. Fallkonferenzen oder ethische Fallbesprechungen können für eine sensible und reflektierte Kommunikation z.B. bei Unsicherheiten in Bezug auf die Fortsetzung des FVET oder zum weiteren Vorgehen im Team sinnvoll sein. Die kürzlich erschienene "Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin für PatientInnen mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung" gibt Empfehlungen zu Medikamenten und anderen Maßnahmen zur Symptomkontrolle am Lebensende in Abwägung von Indikation, Nutzen und Belastung.
"Ein lebensbedrohlich erkrankter Mensch, der auf Essen und Trinken verzichtet, um das Sterben zu beschleunigen, sucht in der Regel nach einem Ausweg aus einer Situation, in der er Angst vor Leiden und vor dem Verlust seiner Würde und Autonomie hat." betont DGP-Vizepräsident Urs Münch, Psychologischer Psychotherapeut und Psychoonkologe: "Als Gesellschaft sollten wir Rahmenbedingungen für alle zugänglich machen, damit Leid gelindert, Autonomie gewährt wird und Menschen in Würde sterben können. Die Charta zur Betreuung von schwerst kranken und sterbenden Menschen ist der Auftrag an die gesamte Gesellschaft, diese Bedingungen zu schaffen und zu kommunizieren."