Länger als vier bis sechs Wochen sollte es nicht dauern, bis PatientInnen mit Anzeichen für eine entzündlich-rheumatische Erkrankung FachärztInnen vorgestellt werden und die richtige Diagnose erhalten. Dieses Ziel wird in Deutschland jedoch weit verfehlt. Ein Grund hierfür ist der ausgeprägte Mangel an rheumatologischen FachärztInnen. Nach Ansicht der DGRh hat dieser inzwischen ein Ausmaß erreicht, welches die medizinische Versorgung der Bevölkerung gefährdet. Auf einer Pressekonferenz im Vorfeld des DGRh-Jahreskongresses diskutieren Vertretende der Fachgesellschaft darüber, wie dem Fachärztemangel begegnet werden kann. Die Pressekonferenz findet am Donnerstag, dem 3. September 2020 online statt.
1,5 Millionen Menschen in Deutschland leiden an entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, das sind rund zwei Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Und vermutlich gibt es viele weitere, die noch nichts von ihrer Erkrankung wissen. Denn selbst eine rheumatoide Arthritis (RA) – mit 60 bis 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr die häufigste und bekannteste Rheumaart – wird im Schnitt erst nach neun Monaten diagnostiziert. PatientInnen mit selteneren Rheumaformen müssen noch deutlich länger, zum Teil mehrere Jahre auf Diagnose und Therapie warten. "Für die Betroffenen kann das gravierende Folgen haben", mahnt Prof. Dr. med. Hanns-Martin Lorenz, Vorstandsmitglied der DGRh, Leiter der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg und medizinisch-wissenschaftlicher Leiter des Rheumazentrums Baden-Baden. Betroffene müssten nicht nur unnötig lange unter den Symptomen ihrer entzündlich-rheumatischen Erkrankung leiden, die fast immer mit Schmerzen und Abgeschlagenheit, manchmal auch mit einer Depression einhergehe. Auch der weitere Krankheitsverkauf hänge wesentlich davon ab, wie rasch mit einer wirksamen Therapie begonnen werde. "Rheuma bedeutet fast immer, dass sich entzündliche Prozesse gegen den eigenen Körper richten", erläutert Lorenz. Werde die Entzündung nicht rasch unter Kontrolle gebracht, sei die Gefahr groß, dass sie chronisch werde und zu irreversiblen Schäden führe. Umgekehrt könnten viele entzündlich-rheumatische Erkrankungen mit einer frühen und konsequenten Therapie gut beherrscht werden.
Hierfür stehen in Deutschland jedoch zu wenige FachärztInnen zur Verfügung. "Um eine gute Versorgung zu gewährleisten, bräuchten wir mindestens 1.350 internistische Rheumatologen", sagt Lorenz. Zurzeit liege deren Zahl mit 750 etwa bei der Hälfte. Um hier zumindest mittelfristig gegenzusteuern, müsste die Zahl der rheumatologischen Weiterbildungsstellen deutlich erhöht werden. Eine Hürde hierfür ist das 2004 eingeführte DRG-Abrechnungssystem, bei dem die klinische Patientenversorgung über Fallpauschalen vergütet wird. "Durch die Fallpauschalen zerfällt die Klinik in finanzkräftige und weniger finanzkräftige Abteilungen", kritisiert Lorenz – "und damit in Abteilungen, denen mehr und anderen, denen weniger Weiterbildungsstellen zugeteilt werden." "Die Rheumatologie als eher ambulant ausgerichtete Fachdisziplin, die im Vergleich keine großen Umsätze generiert, bleibt hier systematisch unterversorgt", betont auch der DGRh-Kongresspräsident und Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. med. Hendrik Schulze-Koops vom Klinikum der Universität München.
Die DGRh fordert daher, dass künftig eine Mindestzahl von Weiterbildungsstellen in der Rheumatologie garantiert wird. "Die Schwerpunkte in den Krankenhäusern dürfen nicht nur nach finanziellen Gesichtspunkten gesetzt werden, sondern hauptsächlich nach dem Bedarf in der Bevölkerung", so Lorenz. Nur dann könne eine breit aufgestellte medizinische Versorgung auf hohem Niveau gewährleistet werden.