Medulloblastome sind die häufigsten bösartigen Hirntumoren bei Kindern. Die größte Gefahr ist, dass die Krebszellen rasch in die umliegenden Gewebe streuen können. Zwei Gendefekte tragen entscheidend zur Entstehung dieser Tumoren bei, wie WissenschaftlerInnen am Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ), am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und am National Institute of Neuroscience in Tokio herausfanden. Die Erkenntnisse sollen helfen, personalisierte Behandlungsstrategien für die jungen PatientInnen zu entwickeln.
Medulloblastome, bösartige Tumoren des Kleinhirns, machen beim Erwachsenen nur etwa ein Prozent aller Hirntumoren aus, sind aber die häufigsten bösartigen Hirntumoren bei Kindern. Vom Kleinhirn aus breiten sich Medulloblastome in das umliegende Gewebe aus und können über die Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit auch in andere Bereiche des zentralen Nervensystems streuen. Wegen des schnellen Wachstums bleibt ÄrztInnen nicht viel Zeit, nach einer passenden Therapie suchen.
Im Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) wird die Entstehung von Medulloblastomen intensiv erforscht, um neue Therapieoptionen zu entwickeln. "Die Entstehung von bösartigen Medulloblastomzellen hat genetische Ursachen und verläuft in mehreren Stufen", erläuterte Lena Kutscher, Junior-Gruppenleiterin am KiTZ und am DKFZ: "Genetische Veränderungen bewirken zunächst, dass bestimmte Vorläufer-Nervenzellen sich übermäßig teilen und Wucherungen entstehen. Kommen weitere Mutationen hinzu, können daraus bösartige Tumorzellen werden, die in die umliegenden Gewebe streuen."
Gemeinsam mit KollegInnen vom National Institute of Neuroscience Tokio und St. Jude’s Children’s Hospital, USA stieß das Forscherteam auf zwei entscheidende genetische Treiber bei der Entstehung von Medulloblastomen aus der Untergruppe Sonic Hedgehog-Medulloblastom (SHH). Das Gen BCOR gilt als sogenanntes Tumorsupressorgen, dessen Eiweißprodukt normalerweise die unkontrollierte Teilung genetisch geschädigter Zellen unterdrückt und dadurch die Entstehung von Tumoren verhindert. Frühere Studien zeigten bereits, dass BCOR bei acht Prozent der jungen PatientInnen mutiert ist oder teilweise aus dem Genom gelöscht wurde. Vor allem Jungen sind davon betroffen.
In Kombination mit einem weiteren Gendefekt, dem Verlust des Rezeptorgens Ptch1, ist das fehlerhafte BCOR-Protein schließlich ein entscheidender Auslöser für die Entstehung von Hirntumoren im Mausmodell: Mäuse, die beide Proteine nicht korrekt herstellen konnten, bildeten in allen Fällen Tumoren. Die Ursache dafür, so vermuten die WissenschaftlerInnen, ist eine Fehlregulation des Wachstumshormons Igf2. Sowohl in Mäusen als auch in manchen menschlichen SHH-Tumoren mit fehlerhaftem BCOR-Eiweiß, so das Ergebnis der ForscherInnen, war das bekannte Krebsgen Igf2 besonders aktiv.
"Unsere Studie hat einen für die Krebsentstehung entscheidenden Signalweg aufgedeckt, der durch BCOR-Mutationen beim SHH-Medulloblastom verursacht wird“, betonte der Letztautor der Studie Daisuke Kawauchi, ehemals Gruppenleiter am KiTZ und DKFZ und jetzt Arbeitsgruppenleiter am National Institute of Neuroscience Tokio: "Diese Erkenntnisse eröffnen uns neue Möglichkeiten, um personalisierte Behandlungsstrategien für PatientInnen mit und ohne diese Erbgutveränderungen entwickeln zu können.“