esanum: Gesundes Altern – gibt es das überhaupt?
Holzgreve: Ja, dies ist möglich, aber wir müssen dafür die Bedingungen zu optimieren versuchen. Jedes Lebensalter hat die verschiedensten Aspekte – bezogen auf Gesundheit, Risiken, Leistungsfähigkeit – hoffentlich auch irgendwann mal bezogen auf eine positive und konstruktive Gelassenheit. Die Medizin hat in den letzten Jahrzehnten eine unglaubliche Entwicklung gemacht – die Menschen werden im Durchschnitt immer älter und viele “Alterskrankheiten” können immer besser behandelt werden. Aber insbesondere Demenzerkrankungen müssen von ihren Ursachen her wissenschaftlich weiter erforscht und in der Praxis gut begleitet werden. Unser Symposium am 17.10. im Bonner Bundestag beschäftigt sich daher zunächst mit den biologischen Grundlagen des Alterns selbst (die Nobelpreisträgerin Elisabeth Blackburn spricht über Ihre bahnbrechende Forschung über die Längenveränderungen der Telomeren auf unseren Chromosomen) und der Demenzerkrankungen (der Direktor des Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen in Bonn, Pierluigi Nicotera, spricht über die Ursachen von Alzheimer und ähnlichen Erkrankungen).
esanum: Was war der Anlass für dieses Symposium? Welches Ziel haben die Veranstalter?
Holzgreve: Das Ziel der Veranstalter ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Altern, das uns zwar als Naturereignis alle betrifft und mit dem wir uns trotzdem zu selten beschäftigen. In der öffentlichen Diskussion um die demographischen Veränderungen dominieren oft die negativen Bilder wie Vergreisung, “Methusalem-Komplott”, Rentenkrise etc. Dem steht allerdings gegenüber, dass sich die Alterungsphase inzwischen positiv nach hinten verschoben hat und z.B. die heute 60-Jährigen biologisch eher 50-jährig sind und eine Lebenserwartung von etwa 80 Jahren haben. In unserer interdisziplinären Tagung behandeln wir aber auch Einzelfragen wie zum Beispiel die nach den Auswirkungen des großen Trends in unserer Gesellschaft, dass Frauen ihre Kinder durchschnittlich in immer höherem Lebensalter zur Welt bringen.
esanum: Wie haben sich die ja sehr verschiedenen Institutionen – vom Uni-Klinikum Bonn über die Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bis hin zur Akademie der Leopoldina -zusammengefunden?
Holzgreve: Durch meine langjährigen Tätigkeiten in den nationalen und internationalen Organisationen der Frauenheilkunde und meinen Tätigkeiten in den Wissenschaftsakademien konnten wir an wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Thema anknüpfen, und glücklicherweise haben alle unsere Wunsch-Referenten/innen und Vorsitzende für die Tagung zugesagt. Wir sind dem Verein zur Förderung der Reproduktiven Gesundheit und Alter sowie insbesondere dessen Präsidenten Prof. HPG Schneider sehr dankbar, dass er diese Veranstaltung trägt und in Bonn veranstaltet, so dass sich das Universitätsklinikum Bonn auf eine ideelle Unterstützung beschränken konnte und wir auf eine industrielle Unterstützung verzichten konnten.
esanum: Im Geleitwort zum Symposium steht: “Die Zahl der Demenzerkrankungen wird sich zwar bis zum Jahre 2050 verdreifachen, aber es gibt in Forschung und Praxis Fortschritte in Richtung “gesundes Altern” – wie ist dieser Satz zu verstehen? Kann die Altersforschung uns dahingehend Mut machen, dass Altern künftig weniger “gefährlich” sein wird?
Holzgreve: Das Altern bleibt insofern “gefährlich”, um Ihren Ausdruck aufzugreifen, indem das menschliche Leben immer mit dem Tod endet. Aber, wie es so treffend in der englischen Sprache formuliert wurde: “We do not want to put only more years into that life, but more life into those years.” Der Fortschritt in Theorie und Praxis auf dem Gebiet der Demenzerkrankungen ist enorm. Und wir haben hier in Bonn die herausragende Situation, universitäre Leistung in Krankenversorgung, Forschung und Lehre durch eine perfekt gelebte Kooperation des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen mit dem Universitätsklinikum auf demselben Gelände zu verbinden und damit zu potenzieren.
esanum: Brauchen wir mehr neurologische Forschung, mehr neue Therapie-Möglichkeiten für die wachsende Zahl von Demenzerkrankten?
Holzgreve: Große Aufgaben in Forschung und Krankenversorgung können nur durch große und koordinierte Anstrengungen bewältigt werden. Wie eben beschrieben ist die Situation in Bonn dafür optimal, aber der Durchbruch bei der Früherkennung und rechtzeitigen Therapie der Demenzerkrankungen steht noch aus. Da das Problem alle Kontinente betrifft, haben wir auf dem Kongress Vorträge zur internationalen Dimension u.a. vom FIGO-Präsidenten Sir Sabaratnam Arulkumaran aus London oder Prof. Gamal Serour aus Cairo.
esanum: Zum gesunden Altern gibt es viele Theorien und Tipps – was ist wirklich wichtig, wenn wir uns heute auf gesundes Altern vorbereiten wollen?
Holzgreve: Ich kann Ihnen keinen für alle passenden Leitfaden an die Hand geben, der quasi als Checkliste dienen könnte. Wir werden aber auf der Tagung z.B. von Frau Prof. Monique Breteler, die am Bonner DZNE und der Harvard University arbeitet, hören, welche Faktoren in großen Bevölkerungsstudien sich als positive Einflussfaktoren auf gesundes Altern identifizieren ließen. Wir werden auch den Einfluss von Hormonen oder anderen Interventionen kritisch unter die Lupe nehmen, und zwar sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Da eine gewisse Dosis von Sport sicher förderlich für Gesundes Altern ist, zitiere ich gerne den Rheinländer Konrad Adenauer, der am 15.10. 1963 mit 87 Jahren seinen Rücktritt als deutscher Bundeskanzler erklärte und ein Jahr vorher zu einem Bonner Journalisten sagte: “Ich höre, mit Ihrem Kreislauf stimmt was nicht. Wie alt sind Sie denn?” Die Antwort war: “Genau 30 Jahre jünger als Sie”, worauf Adenauer warnend den Finger erhoben haben soll: “Dann sind Sie in den Wechseljahren, sehen Sie sich vor.”
esanum: Wir sind eine “Sitzgesellschaft”, was langfristig viele gesundheitliche Einschränkungen mit sich bringt. Wird dieses Thema auf dem Symposium aufgegriffen und werden vielleicht sogar Lösungsvorschläge angeboten?
Holzgreve: Sicherlich wird dies in den verschiedensten Vorträgen innerhalb der krankheitsbezogenen Fragestellungen tangiert, aber bei einem so komplexen Thema ist es gerade nicht nur ein Faktor, der betrachtet werden darf. Unsere sehr renommierten Referenten kommen daher aus unterschiedlichen fachlichen Gebieten, z.B. der Biologie, Medizin, Soziologie, Demographie etc., da hier interdisziplinäre Ansätze gefragt sind.
esanum: Auch die Ernährung beschäftigt uns ein Leben lang: muss, wer sich “Gesundes Altern” vornimmt, diesem Thema nicht auch große Aufmerksamkeit widmen?
Prof. Holzgreve: Es ist bewiesen, dass gesunde, ausgewogene Ernährung mit viel Obst und Gemüse das Wohlbefinden und die Gesundheit fördert, aber auch andere Faktoren wie Mangel an für den Körper wichtige Hormonen oder Vitaminen bis hin zur vorgeburtlichen Programmierung für spätere Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes werden auf dem Symposium behandelt. Wie wirkt sich der in unserer Gesellschaft erzeugte Stress in der “Rushhour des Lebens”, wie unser Referent Prof. Hans Bartram die reproduktiven Jahre bezeichnet, insbesondere auf die Familienplanung aus? Und was können wir praktisch zur Verbesserung der Situation tun?
esanum: Der Aspekt Männer- und Frauengesundheit ist ja ein spannendes neues Forschungsfeld, welche Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind für das Altern von Bedeutung?
Holzgreve: Weil die Fragestellung so spannend ist, haben wir ihr bei dem Symposium einen großen Raum eingeräumt – in dem hier tatsächlich eine Differenzierung zwischen dem Altern bei Frauen und bei Männern vorgenommen wird. Hier werden wir sicher auch einige in den Medien und im öffentlichen Bewusstsein weit verbreitete Mythen durch inzwischen vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse ausräumen können.
esanum: Das hässliche Wort “Überalterung” hört man in letzter Zeit etwas seltener. Das Älterwerden der ganzen Gesellschaft wird offenbar immer mehr als Prozess akzeptiert. Meinen Sie, dass die alternde Gesellschaft eine echte Perspektive hat?
Holzgreve: Ganz sicher denke ich das. Es geht immer nur um den richtigen Umgang mit sich selbst – und das eigentlich in jedem Alter. Aber im höheren Alter sind Einschränkungen wahrscheinlicher. Man sollte lernen, diese gegebenenfalls wahrzunehmen, zu akzeptieren und entsprechend zu agieren, gemäß der etwas drastischen Aussage: Agieren! Und nicht Vegetieren! Der Pianist Arthur Rubinstein hat auf die Frage, warum er im höchsten Alter noch Klavierkonzerte geben konnte, so überzeugend geantwortet: “Ich habe mein Repertoire erheblich verkleinert, und wenn ein schneller Satz kommt, spiele ich vorher extra langsam”.
Vera Sandberg, geboren 1952 in Berlin, absolvierte ihr Journalistik-Studium in Leipzig und war 12 Jahre lang Redakteurin einer Tageszeitung in Ost-Berlin. Im Juni 1989 wurde ihr die Ausreise bewilligt, seit 1990 ist sie Autorin für verschiedene Publikationen, Journalistin für medizinische Themen und hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt “Krebs. Und alles ist anders”. Vera Sandberg ist Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern und lebt seit 2000 bei Berlin.