Welche Folgen politische Traumatisierung für die Gesundheit von Betroffenen haben kann, untersucht ein länderübergreifender Forschungsverbund der Universitäten Magdeburg, Jena, Leipzig und Rostock.
Ein mit Fachleuten besetztes interdisziplinäres Forschungszentrum aus den Bereichen der Psychosozialen Medizin, Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universitätsmedizinen Magdeburg, Jena, Leipzig und Rostock startet ab Juli ein länderübergreifendes Forschungsprojekt zur Untersuchung gesundheitlicher Langzeitfolgen bei SED-Opfern. Ziel für die kommenden drei Jahre ist es, in enger Kooperation mit den Landesbeauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur und den bestehenden Einrichtungen der Beratung, Behandlung, Begutachtung und Weiterbildung wichtige Erkenntnisse zu gewinnen, die unmittelbar zur nachhaltigen Verbesserung der Versorgung der heute noch Betroffenen beitragen.
"Überwachung, Verhöre und Zersetzung, das alles wirkt bei Betroffenen auch 30 Jahre nach dem Ende der DDR noch nach, körperlich und seelisch", erläutert Prof. em. Dr. Jörg Frommer, Sprecher des Forschungsverbundes und ehemaliger Direktor der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Trotz vielfältiger Entwicklungen seit 1989 seien die medizinische Wissenschaft als auch die Angebote und Strukturen der ärztlichen Regelversorgung in Deutschland den Herausforderungen durch die gesundheitlichen Spätfolgen des SED-Unrechts derzeit noch nicht ausreichend gewachsen. Der Facharzt für Psychiatrie erklärt: "Medizinisch geht es bei diesem Personenkreis häufig nicht nur um isolierte einzelne Gesundheitsschäden, sondern um komplexe Mehrfacherkrankungen mit inzwischen jahrzehntelangem Verlauf. Das Spektrum reicht von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparats und Schmerzstörungen und endokrinen Störungen bis hin zu Krebserkrankungen. In den allermeisten Fällen sind diese somatischen Folgen kombiniert mit chronischen psychischen Folgestörungen."
Konkret wollen die Wissenschaftler:innen in insgesamt 12 Teilprojekten die Folgen unterschiedlichster Belastungsformen wie Zersetzungsmaßnahmen, Hepatitis-C-kontaminierte Anti-D-Prophylaxe oder staatlichem Doping untersuchen. In einigen Teil-Projekten sollen unter anderem Antworten auf die Frage nach anhaltenden Stigmatisierungsprozessen der Betroffenen aus ihrer eigenen Perspektive, aus der Perspektive professioneller Hilfesysteme und aus der Perspektive des sozialen Umfelds geliefert und Formen ritueller Gewalt in der DDR erfasst werden. Zur nachhaltigen Verbesserung der Versorgung der Betroffenen haben weitere Teilprojekte die Erforschung von Beratungs- und Begutachtungsprozessen im Hinblick auf systematische Fehlerquellen zum Inhalt sowie die Erstellung einer Forschungsdatenbank und eines Forschungsnetzwerks, verbunden mit der Entwicklung von Ergänzungen bestehender curricularer Weiterbildungsprogramme für die Fallarbeit in den mit ehemals Verfolgten befassten Berufen. Dabei wird zum einen auf Berufsgruppen fokussiert, die bislang noch wenig adressiert wurden, zum anderen auf spezifische Themen und Problemfelder, insbesondere die Anforderung von Beratung und Betreuung älterer Menschen.
"Betroffene erfahren immer noch oftmals zweites Unrecht durch unsachgemäße Diagnostik, Beratung, Behandlung, Begutachtung und Uninformiertheit auf Seiten mancher Ansprechpartner. Mit der Arbeit des Forschungszentrums sollen existierende praktische Angebote, z. B. in Beratungsstellen der Länder, erheblich von einer weiteren grundlagen-wissenschaftlichen und klinischen Untersuchung zu den Folgen des SED-Unrechts profitieren, insbesondere angesichts jüngster Fortschritte in der Stress- und Traumaforschung", sagt Prof. Frommer.