Das britische Gesundheitswesen ist chronisch überlastet. Tausende Patientinnen und Patienten sind einer Studie zufolge dadurch in den letzten Jahren gestorben. Ob sich an den Zuständen nach der Wahl etwas ändert?
Ein stundenlang auf dem Fußboden eines britischen Krankenhauses liegendes Kind hat die Debatte um den maroden Gesundheitsdienst NHS kurz vor der Parlamentswahl befeuert. Als ein Reporter des Fernsehsenders ITV ein Bild vom Jungen dem Premier Boris Johnson zeigte und um Stellungnahme bat, kassierte der kurzerhand das Handy ein. Erst auf Protest des Journalisten gab Johnson das Handy wieder zurück und sprach von einem "schrecklichen, schrecklichen Bild". Eine aktuelle Studie enthüllte zudem, dass die Engpässe im Gesundheitsdienst zu Tausenden Todesopfern führen.
Nach der Untersuchung, über die der "Guardian" in Auszügen berichtete, starben insgesamt 5.449 Menschen seit 2016 in England, nur weil sie zu lange in Notfallaufnahmen warten mussten. Die Wartezeiten betrugen demnach zwischen sechs und elf Stunden. Eine Patientenorganisation sprach von "sehr besorgniserregenden Ergebnissen". Die Studie war von NHS-ÄrztInnen erstellt worden.
Der vierjährige Jack lag mehrere Stunden auf Jacken auf dem Boden der Klinik in Leeds, obwohl bei ihm Verdacht auf eine Lungenentzündung bestand. Johnson sagte nach dem Vorfall, er habe sich bei den Eltern entschuldigt. Der "Mirror" berichtete von einem ähnlichen Fall eines Babys, das an Durchfall und einer Ohrenentzündung litt, in einem anderen Krankenhaus. Es gebe nicht genug Betten, Krankenschwestern und Geld, kritisierte die Mutter.
Der NHS (National Health Service) zählt - neben dem Brexit - zu den Topthemen des Wahlkampfes. Großbritannien wählt am 12.12. ein neues Parlament. Johnson führt eine Minderheitsregierung an und will sich mit der Neuwahl mehr Unterstützung für sein Brexit-Abkommen sichern. Nach wie vor haben die Konservativen in Umfragen die Nase vorn. Doch Johnson kann sich eines Sieges aufgrund des Mehrheitswahlrechts in Großbritannien nicht sicher sein: In vielen Wahlkreisen liefern sich seine Tories und die Labour-Partei ein sehr enges Rennen.
Sowohl Johnson als auch die Oppositionsparteien haben zugesagt, im Falle eines Wahlsiegs wesentlich mehr Geld in den NHS zu pumpen. Der Ärzteverband Royal College of Physicans, der mehr als 35.000 Medizinerinnen und Mediziner vertritt, bezeichnete die Versprechen aller Parteien als unglaubwürdig. Es fehle zum Beispiel an ausgebildetem Personal.
Der NHS wird hauptsächlich aus Steuergeldern finanziert. Vor allem in den Wintermonaten, wenn etwa Erkrankungen wie Grippe hinzukommen, kann der Gesundheitsdienst oft nicht mehr den Ansturm von Kranken bewältigen. Termine bei Hausärztin oder Hausarzt sind nur schwer zu bekommen, es mangelt an Klinikbetten. Sogar die Polizei musste schon mit Fahrzeugen einspringen, um Kranke in Krankenhäuser zu bringen, weil nicht genug Rettungsfahrzeuge zur Verfügung standen.