Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Deutschland lag zuletzt wieder so hoch wie seit drei Monaten nicht mehr. Der Gesundheitsminister sieht das Gesundheitssystem damit bislang nicht überfordert.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat nach dem jüngsten Anstieg der Corona-Neuinfektionen klargemacht, dass er derzeit keine kritische Schwelle überschritten sieht. "Im Moment sind wir in jedem Fall noch in einer Größenordnung, mit der das Gesundheitswesen und der öffentliche Gesundheitsdienst umgehen kann", sagte der CDU-Politiker. "Wenn wir uns jetzt stabilisieren auf einem bestimmten Niveau, dann können wir damit umgehen. Wenn die Zahlen weiter steigen, dann kommt es auf uns alle an, im Alltag aufeinander zu achten und eben weitere Maßnahmen tatsächlich auch nicht nötig zu machen."
Zuletzt hatte das das Robert Koch-Institut (RKI) erstmals seit drei Monaten mehr als 1.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden registriert. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI demnach 1.147 neue Corona-Infektionen innerhalb eines Tages. Die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland hat damit den höchsten Wert seit Anfang Mai erreicht. Bereits am 06.08. lagen die Neuinfektionen mit 1.045 Corona-Fällen erstmals wieder über der Schwelle von 1.000. Spahn hatte daraufhin erneut an die BürgerInnen appelliert, die Hygieneregeln einzuhalten
Die Schwelle von 1.000 neuen Corona-Fällen war zuletzt am 7. Mai überschritten worden. Danach war die Zahl in der Tendenz gesunken, seit Ende Juli steigen die Werte wieder. Der Höhepunkt bei den neuen Ansteckungen wurde Anfang April mit mehr als 6.000 erreicht.
Auf die Frage, ab wann wieder eine Art Lockdown notwendig wäre, unterstrich Spahn die Linie, im Fall der Fälle vor allem auf regionale Maßnahmen zu setzen. Er betonte, es gebe nicht "die eine Zahl, auf die alles reduziert werden kann". "Es gibt den Steigerungsfaktor – also um wie viel dynamischer wird das Infektionsgeschehen? Es gibt die absolute Zahl der Infektionen. Mit um die 1.000 Neuinfektionen pro Tag kann das Gesundheitswesen umgehen."
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil forderte ein strengeres Durchgreifen gegen Menschen, die gegen die Maskenpflicht verstoßen. "Diejenigen die leichtfertig keinen Abstand halten und die Maskenpflicht ignorieren, gefährden damit auch, dass Kinder wieder in die Schule gehen und Arbeitsplätze gesichert werden können", sagte er. "Das ist rücksichtlos und unverantwortlich. Dagegen müssen wir schärfer vorgehen." Er erwarte zum Beispiel von der Deutschen Bahn, dass sie die Maskenpflicht in ihren Zügen konsequent durchsetzt. Mehrere Bundesländer hatten zuletzt angekündigt, ihre Gangart gegen Maskenverweigerer zu verschärfen.
Mit Blick auf die gestiegenen Zahlen warnte Klingbeil: "Wenn wir nicht aufpassen, sind die Erfolge der letzten Monate im Kampf gegen Corona gefährdet." Alle müssten sich weiter an Maskenpflicht und Abstandsregeln halten. "Es ist im Interesse aller, dass Deutschland nicht in eine zweite Welle rutscht."
Die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert, sagte, bisher habe Deutschland die Krise gut geschafft. "Ich glaube aber, dass wir uns in einer falschen Sicherheit im Moment wiegen, dass wir einfach die Zeit etwas aus den Augen verloren und verpasst haben." Sie fügte hinzu: "Alle haben geglaubt, es kommt erst im Herbst – jetzt haben wir August und die Zahlen gehen hoch." Die Linke-Vorsitzende Katja Kipping äußerte sich kritisch zur deutschen Corona-Politik: "Ich glaube, wir haben zu schnell gelockert", sagte sie.
Der Bonner Virologe Hendrik Streeck zeigte sich dagegen nicht beunruhigt von der Zahl von mehr als 1.000 Neuinfektionen an einem Tag. "Zurzeit haben wir keine wesentliche Zunahme von schweren Coronafällen auf den Intensivstationen zu verzeichnen, obwohl seit gut einer Woche die Infektionszahlen gestiegen sind", sagte er. Streeck plädierte dafür, "souveräner" mit dem Virus umzugehen. "Wir dürfen nicht bei jedem Anstieg der Infektionszahlen in Panik geraten." Das Virus werde bleiben. "Das Ziel ist und war es, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, und dass jeder die bestmögliche Versorgung bekommt. Das ist ein realistisches Ziel."