Häusliche Gewalt kann körperliche und psychische Schäden verursachen, die für Ärzte oft nicht einfach zu beurteilen und zu dokumentieren sind. Im interaktiven CME-Webinar klärt Rechtsmedizinerin Dr. med. Bettina Zinka von der LMU München auf.
In Deutschland nimmt die Zahl der Misshandlungen, denen Kinder zum Opfer fallen, immer weiter zu. Der Deutschen Kinderhilfe zufolge stieg der im Jahr 2011 noch bei 4.126 liegende Anteil bis 2016 auf 4.237 Fälle an. Parallel dazu schießt die Anzahl der Gewaltverbrechen gegen Frauen ebenfalls seit fünf Jahren in die Höhe. Diese Ausmaße sind alarmierend und betonen die Notwendigkeit auf Handlungsbedarf.
Auch ist nicht zu vernachlässigen, dass es Männer unter den Betroffenen gibt. Das Bundeskriminalamt veröffentlichte im Jahr 2016 eine Statistik, die angibt, dass 18,2 Prozent der Opfer männlich waren. Zwar ist mit 81,8 Prozent der Großteil der Betroffenen weiblich - es gibt sie jedoch, die Männer, die Gewalterfahrungen innerhalb ihrer heterosexuellen Partnerschaft machen.
Diversen Beratungsstellen ist zu entnehmen, dass sich Betroffene dafür schämen, was ihnen angetan wurde. Folglich sehen sie von einer Anzeige ab, nicht zuletzt, weil sie es paradox finden, ihren Partner anzuzeigen. Dass es Kindern daher noch schwerer fällt, gegen ihre Eltern Anzeige zu erstatten, ist selbsterklärend.
Umso wichtiger ist es, dass der Arzt handelt, wenn Patienten bei ihm vorstellig werden, die Anzeichen auf Gewalterfahrungen vermerken lassen. Im Rahmen des Webinars zum Thema "Häusliche Gewalt", geleitet von Dr. med. Bettina Zinka, Oberärztin im Bereich Rechtsmedizin an der LMU München, werden Informationen über die Strukturen häuslicher Gewalt und resultierende Verletzungsmuster vermittelt. Die Referentin weiß um die Relevanz der Thematik: "Im Medizinstudium kommmt der Befunddokumentation und -interpretation von Verletzungsmustern wenig Bedeutung zu. In der Praxis wird man dann oft unerwartet damit konfrontiert und hat keinerlei Erfahrung damit." Daneben wird Wissen vermittelt, wie konkret bei Misshandlungsverdacht vorzugehen ist.
"Interessant ist das Webinar für alle Ärzte, die potenziell mit Opfern häuslicher Gewalt in Kontakt kommen können. Das bedeutet: im Prinzip alle Fachrichtungen", erklärt Dr. Zinka. Da die Kursleiterin in der Rechtsmedizin tätig ist, beurteilt sie Verletzungen nahezu täglich und wird regelmäßig mit Befundsbildern konfrontiert, die in anderen Fachrichtungen in einem viel geringeren Ausmaß präsent sind. "In der Rechtsmedizin sammelt man Erfahrung in juristischen Strafverfahren und kann beurteilen, was für das Opfer wirklich wichtig ist und in welcher Form Befunde vor Gericht überhaupt nur verwertbar bzw. brauchbar sind", so die Expertin.
Weiterhin wird thematisiert, dass die ärztliche Schweigepflicht nach §34 StGB (Rechtfertigender Notstand) gebrochen werden darf, wenn die betroffene Person weiteren Gefahren ausgesetzt ist und das Missachten dieser Schweigepflicht eine Schutzmöglichkeit bietet. Wenn Ärzte künftig besser aufgeklärt sind, können sie durch ihr Handeln Schlimmeres verhindern. Dies kann bei akuten Verletzungen eine klinische Einweisung beinhalten, die dem Opfer zumindest einen temporären Schutz bietet. Zwar entscheidet eine erwachsene Person selbst, ob sie gegen ihren Partner Anzeige erstatten möchte, dem Kindeswohl muss jedoch mehr Bedeutung als der ärztlichen Schweigepflicht beigemessen werden.