Bei Hautkrebs gibt es gute Heilungschancen, wenn er frühzeitig erkannt wird. Jetzt haben Fraunhofer-Forschende eine digitale Lösung entwickelt, die Diagnosen deutlich beschleunigt. Eine App für Smartphones fotografiert verdächtige Hautveränderungen und schickt diese an die Dermatologie-Abteilung im Krankenhaus. Mithilfe von KI und Bildanalyse bewertet eine Software das Risiko eines bösartigen Hautkrebses und vergibt Prioritäten für die Diagnose der Hautärztin oder des Hautarztes.
Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft erkranken in Deutschland jährlich mehr als 200.000 Menschen an Hautkrebs, allein 2017 starben 3.764 Menschen daran. Am gefährlichsten ist dabei der schwarze Hautkrebs, das bösartige Melanom. Rechtzeitig erkannt ist aber auch das Melanom sehr gut heilbar. Die Überlebensrate nach fünf Jahren liegt bei mehr als 95 Prozent. Umso wichtiger sind frühzeitige Diagnose und Vorsorge.
Das Fraunhofer Center for Assistive Information and Communication Solutions AICOS in Porto und Lissabon hat nun eine Lösung entwickelt, die den Weg zur Diagnose deutlich beschleunigt. Die Lösung Derm.AI kombiniert Smartphone-Fotos des Hautflecks mit Bildanalyse-Software und Künstlicher Intelligenz. Sie liefert eine schnelle erste Einschätzung potenziell gefährlicher Hautveränderungen. Dermatologen und Dermatologinnen nutzen diese Plattform als Entscheidungshilfe und analysieren dann zuerst diejenigen Fälle mit erhöhtem Hautkrebs-Risiko.
Die Lösung soll auch den Prozess der Teledermatologie im Gesundheitssystem Portugals unterstützen. "Das Problem, Hautkrebs frühzeitig zu erkennen, wurde in den letzten Jahren immer wieder von Hausärzten thematisiert. Menschen, die dunkle Flecken oder andere auffällige Veränderungen auf der Haut bemerken, brauchen schnell eine Diagnose. Doch in Regionen, in denen es nur wenige Spezialisten gibt, dauert es häufig länger, bis man einen Termin zur Erstuntersuchung bekommt. Zudem müssen Patientinnen und Patienten oft lange Wege zurücklegen. Hier setzt unsere Lösung Derm.AI an", erklärt Maria Vasconcelos, Leitende Wissenschaftlerin am Fraunhofer AICOS.
Im ersten Schritt fotografiert der Hausarzt oder die Hausärztin den verdächtigen Fleck auf der Haut mit dem Smartphone. Genau dafür hat das Fraunhofer-Team eine App entwickelt. Sie läuft sowohl auf Apples iPhone als auch auf Android-Smartphones. Die App hilft beim korrekten Ausrichten der Smartphone-Kamera und sorgt dafür, dass die Fotos in der richtigen Auflösung, mit dem richtigen Bildausschnitt und in der richtigen Entfernung aufgenommen werden. Aufgenommen werden zwei Fotos, einmal als Nahaufnahme der verdächtigen Stelle und einmal aus größerer Entfernung, um auch die Umgebung ins Bild zu bekommen. Auf diese Weise entstehen standardisierte Bilder mit den immer gleichen Einstellungen in Auflösung, Bildausschnitt, Helligkeit und Kontrast. "Die Spezialistinnen und Spezialisten können diese Aufnahmen gut mit anderen vergleichen und zuverlässig analysieren", sagt Vasconcelos.
Die in der Hausarzt-Praxis erstellten Bilder werden dann via Internet an die Dermatologie-Station eines Krankenhauses gesendet. Nun tritt eine mit Künstlicher Intelligenz ausgestattete Software auf den Plan. Sie analysiert die Fotos des verdächtigen Flecks, vergleicht sie mit Referenzdaten und den Daten anderer Patientinnen und Patienten und schätzt dann das Risiko für Hautkrebs ein: Die fragliche Stelle wird dann als "harmlos", "riskant" oder "gefährlich" markiert. Dabei handelt es sich noch nicht um eine Diagnose, sondern lediglich um eine erste Einschätzung. Diese dient zur Priorisierung für die Reihenfolge, in der die Fälle gesichtet werden. Die Ärztinnen oder Ärzte nehmen sich dann zuerst diejenigen Fälle vor, bei denen die KI-Software eine höhere Wahrscheinlichkeit für bösartigen Hautkrebs anzeigt, und die daher schnell diagnostiziert werden müssen. "Die Software trifft keine eigene Entscheidung, sondern lediglich eine auf Wahrscheinlichkeiten basierte Vorauswahl. Die eigentliche Untersuchung und Diagnose liegt immer in den Händen des zuständigen Dermatologen", erklärt Vasconcelos.
Nach der Analyse von Bildern und Patientendaten wie Alter, Geschlecht oder Vorerkrankungen kann die Dermatologin oder der Dermatologe im Krankenhaus via Telefon oder Videokonferenz eine Konsultation mit dem zuständigen Hausarzt beginnen oder einen Termin zur Direktuntersuchung des Patienten oder der Patientin ansetzen.
In den Fällen, in denen die Spezialisten in der Dermatologie nicht sicher sind, wird ein schneller Termin zur persönlichen Untersuchung vor Ort vereinbart. Dort wird die Hautstelle beispielsweise unter dem Auflichtmikroskop untersucht oder es werden Gewebeproben in einer Biopsie analysiert, um Gewissheit zu erlangen.
Ungefähr 80 Prozent der Fälle, in denen Patienten mit verdächtigen Hautveränderungen in der Hausarztpraxis vorstellig werden, erweisen sich nach Bildanalyse und Konsultation zwischen Hausarzt und Dermatologe als harmloses Muttermal oder Leberfleck. Der Hausarzt kann dann schnell Entwarnung geben. Und die Patientin oder der Patient erspart sich lange Wartezeiten und die Fahrt zum Termin im Krankenhaus.
Bei Patientinnen oder Patienten, deren Hautveränderungen nicht eindeutig harmlos sind oder auf den weniger gefährlichen hellen Hautkrebs hinweisen, bittet der Arzt oder die Ärztin darum, beispielsweise in drei Monaten noch mal vorstellig zu werden, um ein neues Foto der verdächtigen Stelle anzufertigen zu lassen.
Die AICOS-Forscherin hat im Projekt Derm.AI gemeinsam mit ihrem Team den Algorithmus für die Bildanalyse entwickelt. Die Deep-Learning-Software wurde dazu mit Bilddaten und Informationen von 4.000 Patienten gefüttert. In der anschließenden Priorisierung der Fälle durch den Algorithmus ist auch die ärztliche Expertise von Hautärztinnen und Hautärzten eingeflossen. "Wir haben viele Gespräche mit Hausärzten und Dermatologen geführt, um zu verstehen, was diese wirklich benötigen. Das Feedback der Doktoren zu Derm.AI ist sehr gut", freut sich Vasconcelos.
Partner des Projekts sind das Gesundheitsministerium Portugals, das Onkologische Krankenhaus von Coimbra, die Universitätsklinik von Porto und das Gesundheitszentrum der Stadt Guarda. Derzeit analysieren die AICOS-Forschenden die Ergebnisse aus der praktischen Nutzung der Smartphone-App. Zudem verfeinern und optimieren sie das Deep-Learning-Modell der KI-Software.