Hodenkrebs wird auch ohne regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen in den meisten Fällen rechtzeitig erkannt und ist gut behandelbar.
Im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Hall in Tirol und München sowie der Gesundheit Österreich GmbH Wien nun untersucht, ob eine regelmäßige Früherkennungsuntersuchung für Männer ab 16 Jahren zu besseren Behandlungsergebnissen beim Hodenkrebs führt.
Auf Grundlage der vorliegenden wissenschaftlichen Ergebnisse kommt die Arbeitsgruppe zu dem Schluss, dass ein solches Screening nicht empfohlen werden kann. Dies gilt besonders für die ärztliche Tast- bzw. Ultraschalluntersuchung, aber auch für Tasteigenuntersuchungen. Bei Auffälligkeiten am Hoden sollten Männer generell nicht zögern, diese diagnostisch bei einer Ärztin oder einem Arzt abklären zu lassen.
Zu diesem vorläufigen HTA-Bericht bittet das Institut bis zum 8. November 2019 um Stellungnahmen. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Health-Technology-Assessment (kurz: HTA) in dem durch Gesetzesauftrag 2016 gestarteten IQWiG-Verfahren "ThemenCheck Medizin".
Hodenkrebs tritt meist schon im frühen Alter zwischen 25 und 45 Jahren auf und ist die häufigste bösartige Neubildung bei jungen Männern. Mit einem Anteil von 1,6 Prozent an allen Krebserkrankungen bei Männern gehört der Hodenkrebs insgesamt jedoch zu den seltenen Krebsarten. Durchschnittlich erkranken nur 11 von 100.000 Männern jährlich neu an Hodenkrebs. Ohne Behandlung verläuft die Erkrankung tödlich.
Bei mehr als 85 Prozent aller Neuerkrankungen haben die Patienten zuvor wegen einer festgestellten schmerzlosen Schwellung oder einer tastbaren Verhärtung des Hodens eine Ärztin oder einen Arzt aufgesucht. Primäre Therapie ist die Entfernung des betroffenen Hodens. Bevorzugtes Vorgehen nach der Entfernung des betroffenen Hodens ist die aktive Überwachung, lediglich bei Patienten mit ungünstigem Risikoprofil erwägen die Ärztinnen und Ärzte eine adjuvante Chemotherapie zur Verminderung des Rezidivrisikos. Hodenkrebs ist gut behandelbar und die Chance, die Erkrankung zu überleben, ist groß.
Wegen der zum Teil etwas schlechteren Prognose und aggressiveren Therapie in den (seltenen) fortgeschrittenen Tumorstadien stellt sich die Frage nach dem Nutzen von Früherkennungsmaßnahmen. Denkbar wären beispielsweise eine Aufforderung und Anleitung zur systematischen Selbstuntersuchung oder eine regelmäßige ärztliche Tast- und Ultraschalluntersuchung jüngerer Männer im Rahmen eines Früherkennungsprogramms.
Männer in Deutschland haben derzeit erst nach dem 45. Lebensjahr Anspruch auf eine jährliche Inspektion und Abtastung der äußeren Geschlechtsorgane im Rahmen der gesetzlichen Krebsfrüherkennung. Der Hodenkrebs tritt jedoch vor allem im Alter zwischen 25 und 45 Jahren auf.
Zu der Frage, ob regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen für Männer zu besseren Behandlungsergebnissen bei Hodenkrebs führen, liegen keine Interventionsstudien vor. Wegen der niedrigen Inzidenz der Erkrankung, der guten Behandelbarkeit und drohender Überdiagnosen ist ein Hodenkrebs-Screening jedoch nicht empfehlenswert. Zu diesem Ergebnis kommen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Hall in Tirol, München und der Gesundheit Österreich GmbH Wien im Auftrag des IQWiG.
Das Expertenteam zeigt auf, warum bei regelmäßigen Früherkennungsuntersuchungen ein größerer Schaden als Nutzen nicht auszuschließen wäre: Hodenkrebs ist eher selten und wird auch ohne regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen in den meisten Fällen in einem relativ frühen Stadium entdeckt – sodass dieser dann mit guten Heilungschancen behandelbar ist. Selbst in fortgeschrittenen Stadien werden bei der Behandlung von Hodenkrebs gute Ergebnisse erzielt. Dem geringen Nutzenpotenzial stehen mögliche Schäden durch unnötige Hodenfreilegungen oder -entfernungen im Rahmen der Abklärung von verdächtigen Screeningbefunden gegenüber. Die bei gezielter Untersuchung häufig entdeckten Hodenanomalien können die Betroffenen zudem beunruhigen und einen unnötigen Ressourcenverbrauch nach sich ziehen. Vor allem bei der ärztlichen Untersuchung ist nicht auszuschließen, dass in der Betrachtung der gesamten Zielpopulation der zu erwartende Schaden durch mehr unnötige invasive Abklärungen den zu erwartenden Nutzen übersteigt.
Die ärztliche Tast- und Ultraschalluntersuchung sollte deshalb weder als regelmäßige Früherkennungsuntersuchung in der gesetzlichen Krankenversicherung noch als individuelle Gesundheitsleistung angeboten werden. Die Tasteigenuntersuchung ist vermutlich mit geringerem Schadenspotenzial verbunden und scheint bei besorgten jungen Männern nach entsprechender Aufklärung und Anleitung eher vertretbar.
Vor dem Hintergrund der niedrigen Inzidenz und der relativ guten Behandelbarkeit des Hodenkrebses erscheinen aufwändige, methodisch hochwertige randomisierte Interventionsstudien kaum angemessen, um die fehlende Evidenz zum Screening auf Hodenkrebs zu generieren.
Quelle: Originalpublikation