Der Münsteraner Kreis versteht sich laut Eigendefinition als ein informeller Zusammenschluss von Experten, der sich kritisch mit der komplementären und alternativen Medizin auseinandersetzt. Unter anderem fordert die Gruppe die Abschaffung der Zusatzbezeichnung "Arzt für Homöopathie", wogegen sich Homöopathen vehement wehren.
Der promovierte Biologe und Wissenschaftsjournalist Dr. Christian Weymayr ist Mitglied des Münsteraner Kreises. Er ist ein scharfer Kritiker der Homöopathie und bezeichnet sie als "Glaubenslehre". Weymayr ist Autor des Buches "Die Homöopathie-Lüge".
esanum: Herr Dr. Weymayr, der Münsteraner Kreis gehört zu den schärfsten Kritikern der Homöopathie. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen Homöopathie?
Weymayr: Wer an Homöopathie glauben will, kann das natürlich tun. Wir kritisieren aber, dass Homöopathie nicht klar als Glaubenslehre erkennbar ist. Homöopathie widerspricht vollständig wissenschaftlichen Erkenntnissen, etwa der Physik, der Chemie und der Pharmakologie. Uns erschließt sich nicht, warum ein nicht vorhandener Wirkstoff wirken soll und warum Ärzte daran glauben.
esanum: Es gibt ein umfangreiches Angebot an homöopathischen Mitteln. Was enthalten diese?
Weymayr: Zumindest keine Wirkstoffe – oder höchstens Restbestände von Wirkstoffen in einer derart geringen Konzentration, dass sie keine physiologische Wirkung entfalten können. Viele der Ursubstanzen sind zudem Stoffe, die wir sowieso jeden Tag in großen Mengen zu uns nehmen – beispielsweise Kochsalz oder Küchenzwiebeln. Manche Ursubstanzen sind physiologisch gar nicht wirksam, wie etwa Steine.
Befürworter der Homöopathie verwenden gerne das Argument, die homöopathischen Mittel seien für Patienten ungefährlich. Das sei im Sinne der Patientensicherheit das wichtigste. Das stimmt, und dem stimme ich ausdrücklich zu. Dafür hat der Gesetzgeber gesorgt. Die Konzentration darf nur einen Bruchteil der möglicherweise toxischen Menge einer Substanz enthalten. Patienten können also sicher sein, dass Mittel keine Nebenwirkungen haben. Dann haben sie aber auch keine Wirkung.
esanum: Sie als Kritiker sagen, Homöopathie besitze keine Evidenz. Befürworter der Homöopathie behaupten, es gebe durchaus Evidenz und berufen sich auf Studien. Was ist aus Ihrer Sicht von diesen Studien zu halten?
Weymayr: Die evidenzbasierte Medizin weist Nutzen und Schaden über klinische Studien nach. Sie ist meiner Ansicht nach aber nicht für Alternativmedizin gemacht. Der Gesetzgeber hat zudem den Fehler begangen, für homöopathische Mittel Sonderregeln für die Zulassung und Registrierung festzulegen.
Ich denke, bevor man eine Studie beginnt, müsste man erst einmal den Nachweis erbringen, dass man das homöopathische Mittel von einem Placebo unterscheiden kann. Ohne diesen Nachweis sind klinische Studien sinnlos. Dieser Nachweis kann von der Homöopathie seit mehr als 200 Jahren nicht erbracht werden. Das Problem ist, dass Studien grundsätzlich fehleranfällig sind und selbst bei sehr guten Studien rein statistisch ab und an scheinbar signifikante Effekte ermittelt werden. Solche Studien können durchaus auch in renommierten Zeitschriften veröffentlicht worden sein. Sie dienen dann Homöopathen als vermeintlicher Beleg für die Wirksamkeit.
esanum: Besonders stören Sie sich als Münsteraner Kreis an der Zusatzbezeichnung "Arzt für Homöopathie". Weshalb wollen Sie diese abschaffen?
Weymayr: Die Zusatzbezeichnung 'Homöopathie' ist irreführend, weil sie Homöopathie damit als Heilmethode sozusagen offiziell anerkennt. Für Patienten entsteht der Eindruck, wenn die Landesärztekammern einen solchen Titel verleihen, müsse an Homöopathie und deren Wirksamkeit etwas dran sein. Ähnliches gilt übrigens für die Apothekenpflicht. Wenn homöopathische Mittel in Apotheken abgegeben werden müssen – und zwar ausschließlich dort –, denkt der Patient natürlich, dass sie wirksam sind. Die Kostenerstattung durch die Krankenkassen verstärkt den Eindruck zusätzlich. Wenn Krankenkassen, die sonst auf Evidenz pochen, homöopathische Behandlungen bezahlen, ist das ein fatales Signal.
In der Fortbildung, die ein Arzt für die Zusatzbezeichnung ‚Homöopathie‘ absolvieren muss, lernen die Ärztinnen und Ärzte zum Beispiel, welche nicht mehr vorhandenen Wirkstoffe sie bei welchen Symptomen einsetzen sollen. Wenn man etwas Irrelevantes auch noch so lange lernt, so bleibt es doch irrrelevant. Die Zusatzbezeichnung ‚Homöopathie‘ sollte nicht gleichberechtigt neben anderen Zusatzbezeichnung stehen, für die die Ärzte sich relevantes Wissen angeeignet haben.
Zu einem Arzt mit der Zusatzbezeichnung ‚Homöopathie‘ würde ich nicht gehen. Dass man an der Zusatzbezeichnung erkennen kann, wes Geistes Kind ein Arzt ist, genügt für mich nicht als Grund, sie beizubehalten.
esanum: Aus welchen Gründen kämpfen Ärzte Ihrer Meinung nach so leidenschaftlich für Homöopathie? Wer bis zu 250 Stunden in seine eigene Weiterbildung investiert, macht das ja nur selten aus Spaß.
Weymayr: Es gibt sicherlich Ärzte, die wirklich an die Wirksamkeit von Homöopathie glauben, was ich bei einer ansonsten wissenschaftlich argumentierenden und hochgebildeten Gruppe nicht verstehe. Es geht aber vermutlich auch viel um Marketing. Die Ärzte wollen mit dem Titel Patienten bekommen, die sonst vielleicht zu einem Heilpraktiker gegangen wären.
esanum: Weshalb ist die Homöopathie so erfolgreich? Millionen an Patienten glauben daran und bezahlen dafür Geld.
Weymayr: Homöopathie hat einen entscheidenden Vorteil: den Zeitfaktor. Homöopathen wird von den Patienten ungemein viel Zeit zugestanden, etwas auszuprobieren. Wenn das eine Homöopathikum nicht wirkt, dann wirkt vielleicht das nächste. Das war ein sehr cleverer Einfall von Samuel Hahnemann.
Es ist aber so, dass die meisten Erkrankungen nach einer gewissen Zeit von allein heilen, Symptome sich bessern beziehungsweise komplett verschwinden. Das machen sich die Homöopathen zunutze, indem sie den Erfolg auf ihre Therapie zurückführen. Das ist schon ein geniales System. Patienten würde einem Schulmediziner hingegen wohl kaum so viel Zeit zugestehen wie einem Homöopathen, etwas auszuprobieren. Der Erwartung an die Schulmedizin ist, dass jedes Medikament sofort wirkt.
esanum: Warum verschärft der Gesetzgeber nicht die Vorschriften für Homöopathie, indem er zum Beispiel bestehende Ausnahmeregelungen für Homöopathie aufhebt?
Weymayr: Die Anhängerschaft für Homöopathie hat längst eine kritische Masse erreicht. Das heißt: Wer sich gegen Homöopathie ausspricht, wird in der Öffentlichkeit massiv kritisiert und verliert Wählerstimmen. Offenbar ist die Angst, Wähler zu verlieren, wenn man sich für Homöopathie ausspricht, kleiner.
esanum: Was sind Ihre Hauptanliegen als Münsteraner Kreis?
Weymayr: Wir setzen uns dafür ein, dass Glauben und Wissen voneinander getrennt werden. Alternativ- und Komplementärmedizin mögen ein spezielles Bedürfnis nach Spiritualität befriedigen, aber wir erwarten, dass Patienten wissenschaftlich fundiert behandelt werden und dass die Spiritualität woanders bedient wird.
esanum: Wie beurteilen Sie Homöopathie im Vergleich zu anderen Heilmethoden wie Akupunktur oder Naturheilkunde? Auch bei diesen ist die wissenschaftliche Evidenz umstritten.
Weymayr: Der Unterschied zu den anderen genannten Verfahren ist, dass diese einen rationalen Anteil haben. Das ist bei der rein esoterischen Lehre der Homöopathie nicht der Fall. Wenn man bei der Akupunktur Nadeln setzt, ist es ja theoretisch möglich, dass etwas passiert, so dass an einer anderen Stelle der Schmerz nachlässt. Es findet eine echte Interaktion statt. Bei der Naturheilkunde wird zum Beispiel unter Umständen mit Substanzen in pharmakologisch relevanten Konzentrationen gearbeitet. Trotzdem besitzen auch diese Verfahren einen irrationalen Anteil. Es geht um die spirituelle Aufladung von etwas, das aus der Natur oder aus fernen Kulturkreisen kommt beziehungsweise was es schon lange gibt.
esanum: Können Sie der Homöopathie irgendetwas Positives abgewinnen?
Weymayr: Ja. Die Homöopathie liefert uns einen enormen Schatz an Erkenntnissen, wie Krankheiten unbehandelt verlaufen. Dieses Wissen über den natürlichen Krankheitsverlauf sollte sich die Schulmedizin zunutze machen, um möglichst zurückhaltend zu therapieren. Homöopathen sind sicherlich die Ärzte mit den besten Nerven, weil sie sehr lange warten, bis sie eine wirksame Therapie angehen.