Sollte sich dieses Ergebnis in klinischen Studien am Menschen bestätigen lassen, könnte dies maßgeblich dabei helfen, den Weg zu einer dringend benötigten Therapie für die sogenannte bronchopulmonale Dysplasie (BPD) zu ebnen. Dabei handelt es sich um eine Erkrankung, die in den USA jedes Jahr 10.000 Neugeborene betrifft. Langfristig resultiert sie meist in einer chronischen Lungenerkrankung, die letztendlich zu einem Herzversagen führen kann. In einer Reihe von Versuchen demonstrierte ein Team aus Wissenschaftlern des Lurie-Kinderkrankenhauses, wie das Medikament Schäden an den empfindlichen Lungengefäßen neugeborener Mäuse reduziert und sogar einige der BPD nachgelagerten Auswirkungen auf das Herz umkehrt. Die Ergebnisse sollen in der Mai-Ausgabe des Journals Pediatric Research veröffentlicht werden.
Die Bronchopulmonale Dysplasie ist eine verheerende, oft aber unvermeidbare Nebenwirkung der lebensrettenden Therapie mit Sauerstoff bei Neugeborenen. Die Sauerstoffbehandlung stellt sicher, dass die Gehirne, Herzen und Lungen von Frühgeborenen ausreichend mit dem lebenswichtigen Gas versorgt sind und sich so richtig entwickeln und funktionieren können. Gleichzeitig können hohe Sauerstoffkonzentrationen die feinen Lungenbläschen in der Lunge jedoch beschädigen. Die sogenannten Alveolen fungieren als winzige Filter, über die letztendlich Kohlenstoffdioxid gegen Sauerstoff ausgetauscht wird. Sie stellen die strukturellen Elemente für den Gasaustausch dar.
Beschädigt durch zu viel Sauerstoff, werden die unreifen Alveolen unförmig, wodurch die Lunge einen Teil ihrer Fähigkeit zum Gasaustausch einbüßt. Im Verlauf nimmt die Problematik zu, da sich die Blutgefäße in der Lunge verhärten und in der Folge ein abnormal hoher Druck im Gefäßsystem der Lunge entsteht. Anhaltend hohe Drücke, bekannt als pulmonale Hypertonie, können im Laufe der Zeit zu Herzversagen führen.
Die Gabe von Sauerstoff ist bei Frühchen unumstritten und von entscheidender Bedeutung. Da sie jedoch gleichzeitig die genannten schwerwiegenden Nebenwirkungen verursachen kann, sucht die Wissenschaft schon seit längerem nach Möglichkeiten, wie man die Sauerstoff-induzierten Schäden in unreifen Lungen verhindern könnte.
Die Studienautoren reagierten dementsprechend überrascht, als sie feststellten, dass ausgerechnet ein altbekanntes Medikament dabei helfen könnte, einige der gefürchteten Langzeitschäden dieser Sauerstoffgabe zu verhindern. Geleitet wurde die Studie durch die Neonatologin Marta Perez, MD, die Assistenzprofessorin für Pädiatrie an der Northwestern University Feinberg School of Medicine ist.
Die Ergebnisse der neuen Studie zeigen, dass Hydrocortison die Entstehung einer pulmonalen Hypertonie sowie eines vergrößerten Herzmuskels in der Folge einer BPD verhindern kann. Damit wären gleich zwei der gefährlichsten Konsequenzen der Erkrankung eliminiert.
In einer Reihe von Experimenten platzierten die Forscher eine Gruppe von neugeborenen Mäusen in eine Kammer mit hohen Sauerstoffkonzentrationen, währenddessen eine zweite Gruppe in eine Umgebung mit Raumluft gesetzt wurde. Die Tiere, die in den Kammern mit hohem Sauerstoffanteil lebten, entwickelten innerhalb kurzer Zeit die Maus-Version der BPD. Diese wurde als Modell für die menschliche BDP verwendet. Den erkrankten Mäusen wurde im Anschluss entweder eine niedrige oder hohe Dosis Hydrocortison oder ein Placebo verabreicht. Wie erwartet, entwickelten die Mäuse aus der Placebo-Gruppe eine pulmonale Hypertonie sowie eine Hypertrophie des rechten Herzens. Die Mäuse, die jedoch mit Hydrocortison behandelt wurden, zeigten trotz BPD nahezu unveränderte, normale rechte Ventrikel. Bei an BPD erkrankten Mäusen der Placebo-Gruppe, fand man darüber hinaus abnormal verdickte Lungengefäße vor – ein Leitsymptom der pulmonalen Hypertonie. Im Gegensatz dazu hatten erkrankte Mäuse aus der Hydrocortison-Gruppe beinahe normale Blutgefäße in der Lunge.
Als nächstes wollten die Forscher herausfinden, wie Hydrocortison die Lungen von zu früh geborenen Mäusen schützt. Aufbauend auf einer früheren Beobachtung, konzentrierten sich die Wissenschaftler auf ein Enzym namens PDE-5. Dabei handelt es sich um ein Enzym, das die Signalmoleküle cAMP und cGMP abbaut, welche unsere Blutgefäße schützen und stärken. In einer früheren Studie fand eine Arbeitsgruppe des Lurie Kinderkrankenhauses heraus, dass zu viel Sauerstoff die Aktivität von PDE-5 verändern kann und damit den Abbau dieses protektiven Signalmoleküls beschleunigt.
Hydrocortison, so fand die aktuelle Studie hingegen heraus, schützte die Lunge, indem es verhinderte, dass die Aktivität der PDE-5 trotz hoher Sauerstoffkonzentrationen durcheinander geriet.
Verglich man die Lungenzellen von Mäusen, die einer hohen Sauerstoffkonzentrationen ausgesetzt waren mit denen von normalen Tieren, bemerkten die Forscher, dass mit Steroiden behandelte Tiere im Vergleich zu unbehandelten Individuen weit geringere Mengen an PDE-5 vorwiesen.
Die Autoren denken, dass diese Feststellung auf den der Schutzwirkung zugrundeliegenden Mechanismus des Präparates hinweist.
In einer letzten Beobachtung entdeckte das Team, dass höhere Dosen von Hydrocortison die entgegengesetzte Wirkung haben und wiederum Schäden am Lungengewebe hervorriefen. Als die Forscher Gewebeproben von Mäusen, die zuvor mit zehn mg Kortison pro Kilogramm Körpergewicht behandelt wurden, unter dem Mikroskop betrachteten, bemerkten sie abnorme Veränderungen in der Lunge. Im Gegensatz dazu hatten Tieren, die nur mit der Hälfte oder einem Zehntel dieser Dosis behandelt wurden, ein völlig normales Lungengewebe.
Die Gabe von reinem Sauersoff an kritisch kranke Frühchen stellt, wenn erforderlich, eine Standardbehandlung dar. Allerdings ist dies aus den genannten Gründen bei weitem kein risikofreier Eingriff. Studienautroin Kathryn Farrow, eine Neonatologin am Lurie Kinderkrankenhaus und Privatdozentin für Pädiatrie an der Northwestern University Feinberg School of Medicine, ist jedoch davon überzeugt, dass ihre Ergebnisse neue Ansatzpunkte und Wege bereitstellt, um die schädlichen Nebenwirkungen einer ansonsten lebensrettenden Therapie zukünftig abzumildern oder sogar ganz zu beseitigen.
Text: esanum/ pvd
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