WissenschaftlerInnen züchten im Labor lebende Modelle aus den Krebszellen von PatientInnen. Diese liefern zusätzliche Informationen über mögliche Angriffspunkte gegen den Krebs.
Am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) arbeiten WissenschaftlerInnen mit patienteneigenen Krebszellen sowie aus diesen gezüchteten Mini-Tumoren und weiteren Tumormodellen daran, die bestmögliche Therapie für einzelne PatientInnen zu finden. Die Testung möglicher Wirkstoffe an patienteneigenem Zellmaterial im Labor erfolgt zusätzlich zu einer kompletten Erbgutanalyse des Tumors im Rahmen des NCT/DKTK MASTER-Programms.
Das MASTER-Programm ist das deutschlandweit einzige Programm, das diese technologisch sehr anspruchsvolle Analyse für verschiedene Krebsarten vornimmt. Ziel ist es, maßgeschneiderte Behandlungsoptionen für PatientInnen mit sehr seltenen Tumorerkrankungen sowie für junge PatientInnen aufzuzeigen, bei denen alle Standardtherapien ausgeschöpft sind.
Die am Dresdner NCT-Standort vorangetriebene Erweiterung der genetischen Analyse um Tests an patienteneigenem Zellmaterial hebt die innovative Tumorcharakterisierung bei erwachsenen PatientInnen mit soliden Tumoren auf die nächste Ebene. In einer Erprobungsphase wurde die zusätzliche Testung bereits an über 30 Patiententumoren durchgeführt. Das NCT/UCC – an dem ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) Hand in Hand arbeiten – wird über die innovative Herangehensweise anlässlich des Weltkrebstages am 4. Februar informieren.
Modernste molekulare Analysemethoden ermöglichen es heute, bestimmte Veränderungen im Erbgut oder in anderen Bestandteilen von Krebszellen genau zu charakterisieren. Dieses Wissen kann häufig genutzt werden, um den Tumor exakt an dieser Stelle anzugreifen. Besonders konsequent wird die Suche nach maßgeschneiderten Behandlungsoptionen im NCT/DKTK MASTER-Programm umgesetzt, in dessen Rahmen eine komplette Analyse des Tumorerbguts der teilnehmenden PatientInnenen erfolgt.
Nicht immer lassen sich jedoch im Erbgut Veränderungen auffinden, an denen sich der Tumor mit einer bekannten Therapie angreifen lässt. Teilweise gibt die Analyse auch Hinweise auf mehrere therapierelevante Veränderungen. Am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) nutzen WissenschaftlerInnen daher patienteneigene Tumorzellen und aus ihnen gezüchtete Modelle, um zusätzliche Informationen zu gewinnen.
"Mit ihrer Hilfe können wir im Labor beispielsweise testen, wie der individuelle Tumor auf verschiedene Medikamente reagiert. Die Modelle helfen uns darüber hinaus, Veränderungen von Krebszellen zu erforschen, deren Relevanz uns aktuell noch nicht bekannt ist“, erklärte Prof. Hanno Glimm, Leiter der Abteilung Translationale Medizinische Onkologie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) und Mitglied im geschäftsführenden Direktorium des NCT/UCC Dresden. "Durch die erweiterte Tumorcharakterisierung stoßen wir das Tor für die maßgeschneiderte, personalisierte Krebstherapie weiter auf. Wir sind sehr zuversichtlich, dass der Ansatz für eine bestimmte Patientengruppe, bei denen die Standardtherapien ausgeschöpft sind, künftig eine deutliche Verbesserung bringen könnte“, ergänzte Prof. Michael Albrecht, Medizinscher Vorstand des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden.
Bei der zusätzlichen Testung arbeiten die WissenschaftlerInnen am NCT/UCC Dresden mit einem zweistufigen Verfahren. Grundvoraussetzung ist zunächst, dass nach einer Tumoroperation oder der Entnahme einer Gewebeprobe Restgewebe mit ausreichend vielen Tumorzellen zur Verfügung steht, das nicht für pathologische Untersuchungen benötigt wird. Die WissenschaftlerInnen nutzen dann zunächst einige tausend Krebszellen, um in Kurzzeitkulturen sehr rasch zu prüfen, wie wenige gängige Therapien oder bereits für den PatientInnen empfohlene Medikamente auf die Tumorzellen wirken. "Die weiteren Tumorzellen versuchen wir mit unterschiedlichsten Methoden längerfristig am Leben zu erhalten und zu vermehren. Im Idealfall können wir aus ihnen Modelle des Tumors bis hin zu dreidimensionalen Mini-Tumoren züchten. Bei diesen Organoiden handelt es sich um aus patienteneigenen Krebsstammzellen gezüchtete Zellballen, die Eigenschaften des Patiententumors aufweisen können“, sagte Dr. Claudia Ball, wissenschaftliche Laborleiterin in der NCT/UCC-Abteilung Translationale Medizinische Onkologie. Die längerfristig nutzbaren Zellen und Modelle können dann dazu dienen, Hypothesen aus der Erbgutanalyse zu überprüfen. Wenn die molekulare Untersuchung keine spezifische Medikation nahelegt, lässt sich die Wirkung zahlreicher Substanzen in einer großangelegten Suche prüfen.
Für die längerfristige Kultivierung der Zellen und Modelle müssen ausgefeilte Experimentalanleitungen befolgt werden. Besonders für seltene Tumoren gibt es solche gesicherten Vorgehensweisen häufig noch nicht. Hier entwickeln die NCT/UCC-WissenschaftlerInnen entsprechende Anleitungen. Um das hierfür nötige Wissen zu bündeln, hat das NCT/UCC eine zentrale Einheit gegründet, die sogenannte Preclinical Model Unit. "Wir können hier auf umfassende Erfahrungen zurückgreifen, etwa bei Pankreaskrebs. Auch für seltene bösartige Tumoren, wie beispielsweise Sarkome ist es uns hier am Standort bereits gelungen, Organoide herzustellen – ein wichtiger Erfolg", sagte PD Dr. Daniel Stange, Oberarzt und Laborleiter an der Klinik für Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Dresden, der die Preclinical Model Unit gemeinsam mit Dr. Ball leitet.
In der aktuellen Erprobungsphase müssen die WissenschaftlerInnen zunächst belegen, dass der innovative Ansatz tatsächlich in der Klinik machbar ist und einen zusätzlichen Nutzen für die PatientInnen bringt. "Hier sind wir auf einem sehr guten Weg und zuversichtlich. Künftig könnte die zusätzliche Testung auch auf weitere Standorte des NCT/DKTK-MASTER-Programms ausgeweitet werden. Wichtig ist, dass es bisher ein rein experimentell wissenschaftlicher Ansatz ist", so Prof. Glimm abschließend.