In Deutschland müssen mehr als 2 Millionen Menschen pro Jahr auf einer Intensivstation behandelt werden. Erkenntnisse der circadianen Rhythmik und der Schlafforschung zeigen nun, dass die Räumlichkeiten dem Heilungsverlauf entgegen stehen können. Am Campus Klinikum Virchow der Charité untersucht ein Pilotprojekt, ob die Umgestaltung (Geräuschkulisse, Licht, Raumarchitektur) einer Intensivstation ihn hingegen fördert.
Prof. Dr. med. Claudia Spies ist Direktorin der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin und forscht auf diesem Gebiet: "Gegenwärtig unterschätzen wir die Chronobiologie des Menschen noch und wie sehr uns deren Nichtbeachtung anfällig für Sekundärkrankheiten macht." Auf einer Intensivstation (ITS) sei die Geräuschkulisse hoch und die Lichtverhältnisse ungünstig. Das lasse viele PatientInnen unruhig werden und produziere Stress.
Könnten die Umgebungsumstände oder die Nichtbeachtung von physiologischen Grundprinzipien zusätzlich krank machen bzw. die Heilung aufhalten? "Je kranker ein Mensch auf der ITS ist, je stärker ist dieser aus seinem Tag-Nacht-Rhythmus raus. Das berichten uns Patienten selber, die lange bei uns sind. Und sie berichten uns auch, dass der Schlaf ihnen keine Erholung verschafft, sie keine Tiefschlafphasen haben", erzählt Spies. Dadurch werde der Mensch anfälliger für Infektionen, die seinen Zustand noch weiter verschlechtern, ohne dass sie mit dem eigentlichen Krankheitsbild zusammenhängen. "Die Rhythmusstörungen – nicht nur vom Herzen - müssen im Patientenmonitoring sichtbar gemacht werden. Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass schlechte Umgebungsbedingungen auf der Intensivstation kranke Menschen noch kranker machen. Weil die biologischen Rhythmen aus dem Takt sind."
Besonders die Lichtverhältnisse verursachen bei den PatientInnen relativ früh Schlafstörungen, sagt Spies. Die Projektteilnehmenden testen dies mithilfe einer Beleuchtung, die den Tagesverlauf der Sonne simuliert und so als Taktgeber für einen gesunden Schlaf-Wach-Rhythmus fungiert. Koordinationsspiele in der Lichtdecke sollen ebenfalls helfen, Delir zu vermeiden und somit auch die Gefahr für kognitive Langzeitschädigungen. "Gelingt dieses Experiment, so wäre das eine kleine Revolution in der Intensivmedizin", so Spies weiter. Vorläufige Ergebnisse der Studie hätten eine deutliche Reduktion des Delirs gezeigt.
Einen tieferen Einblick in das Thema gibt das Symposium "Die Anwendung von Prinzipien der Circadianen und der Schlafforschung in der Klinik" am 30.10.2020 von 14.30-16 Uhr im Rahmen der virtuellen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) vom 29.-31.10.2020.