Ist nach dem Schlaganfall vor dem Schlaganfall?

Nach einem Schlaganfall steigt die Rezidivgefahr. Bislang war klar, sind beim ersten Anfall Areale in der linken Hirnhälfte betroffen, fährt das Gehirn die Nachbarareale und kurzzeitig auch die Pendants seiner rechten Seite hoch. Unklar war jedoch, ob das auch nach einer zweiten Attacke passiert.

Wenn das System ein zweites Mal ausfällt

Nach einem Schlaganfall steigt die Gefahr, einen zweiten zu erleiden. Bislang wusste man, sind beim ersten Anfall Areale in der linken Hirnhälfte betroffen, ist vor allem die Sprache beeinträchtigt. Um die aufrechtzuerhalten, fährt das Gehirn die Nachbarareale und kurzzeitig auch die Pendants seiner rechten Seite hoch. Unklar war jedoch, ob das auch nach einer zweiten Attacke passiert – und ob das überhaupt gut für die Regeneration ist. WissenschaftlerInnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften haben nun mithilfe einer virtuellen Läsion herausgefunden, dass die rechte Hirnhälfte bei wiederholten Störungen tatsächliche eine positive Rolle spielt.

Dass das Gehirn deutlich formbarer ist als gedacht, ist inzwischen weitgehend bekannt. Selbst nach einem Schlaganfall oder anderen Hirnverletzungen gelingt es ihm häufig, die ausgefallenen Regionen und dort verarbeiteten Fähigkeiten auszugleichen. Oft aktiviert es dazu nicht nur die benachbarten Regionen, sondern auch die Schwesterareale auf der anderen Hirnseite. Die tragen bis dahin meist wenig zu der eigentlichen Fähigkeit bei und werden von der dominanten Hälfte in Schach gehalten – bis der Notfall eintritt. Fallen also etwa Bereiche zum Sprachverständnis auf der linken Seite aus, werden häufig die entsprechenden Pendants auf der rechten Seite hochreguliert. Der Ausfall kann so kurzzeitig ausgeglichen werden.

Bis zu 15% der Betroffenen erleiden jedoch einen zweiten Schlaganfall. Unklar war bislang, ob die Reperaturmechanismen auch dann einsetzen, das Gehirn also seine Anpassungsfähigkeit behält. Zudem war man sich uneins darüber, ob eine aktivierte rechte Hirnhälfte generell gut für die Heilung ist. Einige Studien legen zwar nahe, dass eine Einbindung der rechten Hirnhälfte zumindest kurzfristig bei der Erholung hilft. Andere hatten aber gezeigt: Ein Ausfall von Spracharealen in der linken Hälfte, kann die rechte regelrecht enthemmen. Die trägt dann etwas bei, was nichts mit Sprache zu tun hat und sorgt für Verwirrung. Das Gehirn gerät aus dem Takt. Weitere Untersuchungen hatten zudem herausgefunden, dass es den PatientInnen besser geht, wenn die überaktive Hälfte durch hemmende Magnetstimulation wieder eingedämmt wird. Die Aktivität verlagert sich dadurch zunehmend zurück in die linke Hirnhälfte. Sie gewinnt wieder die Oberhand.

WissenschaftlerInnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig haben nun herausgefunden, dass das Gehirn auch bei einer zweiten Störung der linken Sprachareale seine Aktivität in den Schwesterarealen auf der rechten Seite hochfährt. "Im erholten Gehirn war deren Beitrag nach der ersten Läsion noch nicht groß. Bei der zweiten Störung, bei der große Teile der linken Hirnhälfte außer Kraft gesetzt sind, wird ihr Anteil jedoch viel stärker", erklärte Gesa Hartwigsen, Forschungsgruppenleiterin am MPI CBS und Erstautorin der zugrundeliegenden Publikation, die jetzt im renommierten Open Access Magazin elife erschienen ist. "Die zweite Störung hat also den Beitrag der rechten Hirnhälfte verstärkt und sichtbar gemacht", so Hartwigsen.

Untersucht haben die WissenschaftlerInnen diese Zusammenhänge mithilfe von 12 PatientInnen, bei denen die Regionen zur Verarbeitung von Lauteigenschaften in der linken Hemisphäre durch einen ersten Schlaganfall verletzt waren. Der lag jeweils etwa sechs Monate zurück. Ihr Gehirn hatte somit Gelegenheit sich zu regenerieren und der neuen Situation anzupassen. Die zweite Störung simulierten die ForscherInnen mithilfe der sogenannten transkraniellen Magnetstimulation, mit der bestimmte Hirnareale durch elektrische Reize gezielt kurzzeitig gestört werden können. Dadurch lässt sich nachbilden, wie das Gehirn reagieren würde, wenn tatsächlich bestimmte Bereiche durch einen Schlaganfall oder andere Ereignisse ausfielen – und wie sich das etwa auf die Fähigkeit auswirke, Laute zu erkennen. Dazu nutzten Hartwigsen und ihr Team wiederum eine einfache Sprachaufgabe. Die Testpersonen hörten etwa das Wort "Katze“ und sollten entscheiden, ob es aus zwei oder drei Silben besteht.

Dabei zeigte sich: Je mehr die Areale zur Lautverarbeitung auf der linken Seite beeinträchtigt waren, desto höher war die Aktivität in den Pendants der rechten Hirnhälfte. Umso stärker zudem bei einem Patienten die Faserverbindung zwischen den aktivierten Schwesterarealen der rechten Seite ausgebildet war, desto besser schnitt er in den Aufgaben ab – desto weniger beeinträchtigte ihn also die Störung auf der linken.

Nach großflächigen Störungen, bei der große Teile der linken Hirnhälfte nicht mehr funktionieren wie sie sollten, spielt die rechte Seite wahrscheinlich eine förderliche Rolle. In der linken Hirnhälfte liegt soviel brach, dass die nur eingeschränkt arbeitet und Unterstützung von der rechten braucht. "Andere Studien zeigen, dass es zu einem späteren Zeitpunkt jedoch gut für die Regeneration ist, wenn sich die aktivierte rechte Seite wieder runterreguliert und damit zu einer Normalisierung auf der linken Seite beiträgt", so Hartwigsen. Bleibt die rechte Hälfte dagegen dauerhaft hochreguliert, verzögert sich die Heilung.

Die Erkenntnisse darüber, wie sich das geschädigte Gehirn an eine weitere Störung anpasst, könnten langfristig helfen, die Therapie von SchlaganfallpatientInnen zu verbessern. "Damit lässt sich womöglich irgendwann einschätzen, ob es hilfreicher wäre, bestimmte Areale gezielt hoch- oder runterzuregulieren", gab Hartwigsen abschließend zu verstehen.