Zellen sind mit wirkungsvollen Abwehrmechanismen ausgestattet, um gegen Eindringlinge vorzugehen. Schlacht- und Bauplan sind in den Genen festgeschrieben, die bei einem feindlichen Angriff aktiviert werden müssen. WissenschaftlerInnen entwickelten eine neue Methode, um die Aktivität tausender Gene in Einzelzellen untersuchen zu können.
Dringen Viren in den Körper ein – etwa bei einer Grippe oder einem Magen-Darm-Infekt – verändern sich die Abläufe in den betroffenen Zellen: Im ungünstigsten Fall übernimmt das Virus die infizierte Zelle komplett, und deren Stoffwechsel wird umprogrammiert. So produziert die Zelle dann Virus-Bestandteile, und das Virus vermehrt sich explosionsartig. In einer anderen Zelle zieht aber womöglich das Virus den Kürzeren und wird durch die aktivierten Schutzmechanismen erfolgreich eliminiert. Doch wie kommt es zu dem Phänomen, dass die eine Zelle überrannt wird und die andere das Virus unter Kontrolle bringt? Wie schnell reagieren einzelne Zellen auf einen Virusangriff und welche schützenden Gene werden dabei aktiv?
Zu diesen Fragen war auf Einzelzell-Ebene bislang kaum etwas bekannt. In einer aktuellen Studie konnten ForscherInnen bei der Beantwortung dieser Fragen nun jedoch ein großes Stück vorankommen. Sie untersuchten, wie sich die Genaktivität – die die Identität und den physiologischen Zustand einer Zelle widerspiegelt – nach einer Infektion mit dem Zytomegalievirus (CMV) innerhalb einzelner infizierter Mauszellen veränderte.
Mit einem häufig eingesetzten experimentellen Verfahren, der sogenannten Einzelzell-RNA-Sequenzierung (scRNAseq), ist es möglich zu bestimmen, welche Gene einer Zelle gerade aktiv sind. Kurzfristige Änderungen von Genaktivitäten, wie sie etwa bei einer Virusinfektion auftreten, können damit aber nur sehr begrenzt aufgespürt werden. Zudem kann jede einzelne Zelle nur einmal untersucht werden. Somit blieb bisher unklar, wie einzelne Zellen auf äußere Einflüsse, zum Beispiel eine Virusinfektion, reagieren.
Um die molekularen Vorgänge innerhalb einzelner infizierter Zellen zu untersuchen, entwickelten die Forscher nun eine neue Methode namens scSLAM-seq, mit der sie erstmals sichtbar machen können, welche Gene wie stark in einzelnen Zellen innerhalb weniger Stunden aktiviert werden. Wird ein Gen aktiviert, wird sein Code in RNA übersetzt.
Um unterscheiden zu können, welche RNA vor der Virusinfektion bereits vorhanden war und welche neu hinzugekommen ist, bedienten sich die Forscher eines Markierungstricks: Sie fügten zeitgleich mit dem infizierenden Virus eine im Vergleich zur natürlichen Variante chemisch leicht veränderte Form des RNA-Bausteins Uracil zum Nährmedium der Zellen hinzu. Die Zellen bauten daraufhin das markierte Uracil in ihre neu hergestellte RNA ein. Nach zwei Stunden wurde das Experiment beendet. Über eine chemische Reaktion wurde das markierte Uracil in einen anderen RNA-Baustein, nämlich Cytosin, umgewandelt.
In der RNA-Sequenz befindet sich dort, wo eigentlich Uracil eingebaut sein sollte, dann stattdessen Cytosin. Die Idee, die dahintersteckt: Die RNA, die nach der Virusinfektion hergestellt wurde, besitzt nun eine Markierung, mit der die ForscherInnen sie bei der anschließenden RNA-Sequenzierung als neu identifizieren können.
Mithilfe eines komplexen bioinformatischen Verfahrens untersuchten die ForscherInnen die RNA jeder einzelnen Zelle, ordneten sie über 4000 bekannten Genen pro Zelle zu und trennten sie in neue und alte RNA auf. Damit sind erstmals Dosis-Wirkungs-Analysen auf Einzelzellebene möglich. Insgesamt untersuchte das Forscherteam die RNA von 100 Einzelzellen. Das war bereits ausreichend, um einen gänzlich neuen Einblick in die zelluläre Genaktivierung zu bekommen.
Mittels scSLAM-seq konnten die ForscherInnen nun erstmals präzise analysieren, wie eine einzelne Zelle innerhalb eines kurzen Zeitfensters auf eine Störung wie etwa eine Virus- oder Bakterieninfektion reagierte, welche Gene in der Folge vermehrt oder vermindert abgelesen wurden, und so nachvollziehen, welchen Schlachtplan sie im Kampf gegen den Eindringling vorbereitet hat.
Weiterhin konnten die WissenschaftlerInnen zeigen, dass das Ablesen von Genen nicht kontinuierlich abläuft, sondern in Schüben: So weckt die Virusinfektion hunderte Gene aus ihrem Dornröschenschlaf und bewirkt ihre Ablesung binnen Stunden nach Eindringen des Virus in die Zelle. Dabei werden vor allem solche Gene aktiviert, die den Zellen helfen, die Infektion zu bekämpfen. Das erklärt auch, warum sich Zellen in ihren RNA-Profilen häufig so deutlich unterscheiden und manche Zellen etwa sofort gegen Viren angehen können und andere zu dem Zeitpunkt noch nicht. Jede Zelle tickt nach ihrem eigenen Takt: So weisen Zellen mit zunächst identischen RNA-Profilen bereits nach wenigen Tagen komplett unterschiedliche RNAs in ihrem Zellinnern auf.
Das On/Off-Prinzip der zellulären Genaktvierung hat für unseren Körper wahrscheinlich eine ganz wichtige Funktion. Denn würden alle Gene, die dem Kampf gegen Viren dienen, dauerhaft von jeder Körperzelle produziert, könnte es zu Fehlreaktionen und Autoimmunerkrankungen kommen. Durch dieses Anschalten im richtigen Moment, kann unser Immunsystem eine schützende Umgebung aufbauen, ohne Risiko schädlicher Fehlreaktionen.
So stehen nur in einem kleinen Teil der Körperzellen bestimmte Mechanismen voll funktionsfähig bereit. Diese "Sentinel“-Zellen sind dann in der Lage, zum Beispiel ein eindringendes Virus zu erkennen und effizient zu bekämpfen. Und sie informieren die anderen Zellen, die dann ebenfalls das komplette Abwehrarsenal hochfahren und entsprechende Gene aktivieren, um die Infektion zu kontrollieren und die Gefahr zu bannen.