An einem Herz-Kreislauf-Leiden stirbt fast jeder zweite Mensch in Deutschland. Da die Risikofaktoren Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht, erhöhter Cholesterin-Spiegel, Diabetes und Bluthochdruck beeinflussbar sind, kommt Prävention hier eine Schlüsselrolle zu. Aber das Gesamtrisiko wird oft unterschätzt. Doch Hausärzte sind in der Lage und dazu bereit, verbesserte Konzepte zur kardiovaskulären Prävention in ihren Praxisalltag zu integrieren, stellt ein Forscher des Instituts für Hausarztmedizin am Universitätsklinikums Bonn im Rahmen seiner Habilitation fest.
Bewegungsmangel, Übergewicht sowie Nikotin- und Alkoholkonsum begünstigen die Zunahme von durch Arterienverkalkung bedingten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So sind Herzinfarkt und Schlaganfall die häufigste Todesursache in Europa. "Doch allein ein sofortiger Rauch-Stopp kann das persönliche Risiko um mindestens die Hälfte senken", sagt Privatdozent Dr. Bleckwenn, Hausarzt in Linz und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Hausarztmedizin des Universitätsklinikums Bonn. "Wir müssen in Deutschland hin zu einer kardiovaskulären Prävention, denn sie ist effektiv und für das Gesundheitssystem preiswert. Auf der anderen Seite kann Arteriosklerose nicht repariert, aber durch Vorsorge positiv beeinflusst werden." Nur etwa 25 Prozent des Risikos für kardiovaskuläre Erkrankungen ist genetisch vorherbestimmt; der weitaus größte Anteil wird durch das Gesundheitsverhalten der Patienten bestimmt. So können Patienten das Auftreten von Herzinfarkt und Schlaganfall verhindern, indem sie gesundheitsgefährdendes Verhalten unterlassen. In seiner Habilitation, der ersten am Bonner Uni-Institut für Hausarztmedizin, ist Bleckwenn deshalb den Möglichkeiten einer kardiovaskulären Prävention in der Hausarztpraxis auf den Grund gegangen.
Der Hausarzt ist erste Anlaufstelle für Patienten und er hat alle Informationen. Etwa jeder vierte seiner Patienten ist ein Hochrisikopatient mit einem Diabetes oder einer Arteriosklerose, also eine chronisch entzündliche Gefäßerkrankung mit zunehmender Verengung der Arterien durch Ablagerung von Fett und Kalk. Die Behandlung von Risikofaktoren macht einen Großteil der Besuche beim Hausarzt aus. Vorsorgeuntersuchungen bieten die beste Möglichkeit, Patienten mit einem kardiovaskulären Risiko zu identifizieren. Doch diesen „Checkup“, der allen gesetzlich Versicherten über dem 35. Lebensjahr angeboten wird, nutzt nur jeder Zweite.
Hausarzt und Patient treffen im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung gemeinsam eine Entscheidung über Präventionsmaßnahmen. Dazu wurde im Rahmen der Habilitation in den beteiligten Lehrpraxen des Bonner Uni-Instituts für Hausarztmedizin ein standarisierter Risikokalkulator eingesetzt. Das Softwareprogramm berechnet das individuelle Gesamtrisiko, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden. Der Patient erfährt aber auch durch welche Verhaltensänderung oder medikamentöse Therapie beispielsweise zur Cholesterinsenkung er sein Risiko reduzieren kann. Problematisch wird es dann, wenn Patienten neben den kardiovaskulären Risikofaktoren noch weitere behandlungsbedürftige Erkrankungen haben. "Alle teilnehmenden Patienten nahmen die Präventionsansprache und Durchführung durchweg positiv an. Insbesondere die einfache visuelle Darstellung war bei vielen unserer Patienten hilfreich, die entsprechende Aufmerksamkeit auf das Thema Prävention zu lenken", sagt Hausarzt Dr. Sebastian Münster. Seine Gemeinschaftspraxis in Troisdorf ist Lehrpraxis der Medizinischen Fakultät Bonn und gehörte zu den 12 Hausarzt-Praxen, die sich an der Studie beteiligten.
An erster Stelle steht den Lebensstil zu ändern. Dazu gehört neben einer mediterranen Ernährung und ausreichend Bewegung vor allem, mit dem Rauchen aufzuhören. Durch einen Rauchstopp kann das Herzinfarkt-Risiko um 50 Prozent gesenkt werden. Doch trotz Präventionskampagnen rauchen nach wie vor 14,2 Millionen, also jeder dritte Mensch in Deutschland. "Die Herausforderung für den Hausarzt ist, einen Menschen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen, ohne dass schon etwas passiert ist. Dabei unterschätzt der Hausarzt meist seinen Effekt auf den Patienten", sagt Bleckwenn. "Aber er muss sich die Zeit nehmen, um den Patienten zu motivieren." Denn Prävention bedeutet eine lange Zusammenarbeit von Arzt und Patient, denn eine Verhaltensänderung wie das Rauchen geht nicht über Nacht. Neben der meist geringen Motivation des Rauchers mangelt es gerade hier an einer Kostenübernahme seitens der Krankenkassen sowie geeigneten Konzepten und Fortbildungen. Zudem ist Rauchentwöhnung erst neuerdings ein "Wahlfach" im Medizin-Studium.
Aufgrund der demographischen Entwicklung wird der Präventionsbedarf in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich weiter ansteigen. Zukünftige Konzepte müssen also die durch den demographischen Wandel ansteigende Anzahl an Risikopatienten, deren Mehrfacherkrankungen und die dadurch eingeschränkten Ressourcen der Hausärzte berücksichtigen. "Von einer verbesserten kardiovaskulären Prävention würden alle Generationen profitieren. Hausärzte sind daher ohne zusätzliche Kostenübernahme und trotz Zeitmangels durchaus bereit, ein dafür notwendiges Risikomanagement in ihren Praxisalltag zu integrieren", fasst Bleckwenn das Ergebnis seiner Habilitation zusammen. So auch das Fazit von dem Troisdorfer Hausarzt Münster im Anschluss an die Studie: "Vor allem die Implementierung der visuellen Risikoanalyse in die Sprechstunde und unser Online-Angebot wurde fortgeführt und stetig ausgebaut."