Was tun, wenn sich der Verdacht auf eine Gewalteinwirkung während der Untersuchung erhärtet?
Verletzungen mit blutenden Wunden oder flächenhaften Hämatomen bei Kindern sind in der täglichen Praxis mitunter schwer zu interpretieren – insbesondere dann, wenn Begleitverletzungen fehlen. Schnell kann sich die Aufgabe stellen, zwischen einem Unfall und einer Gewalteinwirkung gegen das Kind zu unterscheiden. Was dabei jedoch nicht vergessen werden darf, ist die erweiterte Gerinnungsdiagnostik, denn mitunter verbirgt sich hinter der zu beobachtenden Symptomatik eine Hämophilie. Im umgekehrten Fall jedoch könnte eine negative Gerinnungsdiagnostik den Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung verstärken.
In einer aktuellen Promotionsarbeit der Universität Dresden wurden insgesamt 19 ambulant versorgte Kinder mit misshandlungsverdächtigen Blutungen aufgrund fehlender Begleitverletzungen einer zusätzlichen Gerinnungsdiagnostik unterzogen. In nur zwei Fällen wurde auf der Grundlage der Ergebnisse das Verletzungsbild auf Blutgerinnungsstörungen zurückgeführt. Gleichzeitig bedeutete dies, dass in 17 Fällen der Anfangsverdacht auf Kindeswohlgefährdung nicht widerlegt wurde.
Wenn Sie in der täglichen Praxis mit einem solchen Verdacht konfrontiert werden, ist die lückenlose Dokumentation des Falles besonders wichtig. Die folgenden Angaben müssen dann in Ihrem Bericht stets angegeben werden:
Rechtslage: Spagat zwischen Schweigepflicht und Anzeige
Viele Ärztinnen und Ärzte, die einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung haben, sind sich unsicher, wie sie sich dann weiterverhalten sollen. Die Schweigepflicht verbietet ihnen doch eigentlich den Verrat persönlicher Geheimnisse von PatientInnen, oder?
In der Tat sind Ärztinnen und Ärzte hier an die Berufsordnung, den Behandlungsvertrag und an §203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen) gebunden. Jedoch gibt es Wege und Gesetze, Sie von der Schweigepflicht unter bestimmten Voraussetzungen entbinden zu können.
Der Schweigepflicht entgegen wirkt unter anderem das seit 2012 existierende Kinderschutzgesetz. Dort ermöglicht der §4, welcher die "Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger zur Verhinderung einer Kindeswohlgefährdung" regelt, dass Ärzte unter ganz besonderen Voraussetzungen und einem dreistufigen Meldemodell folgend, ihren Verdacht anzeigen dürfen.
Die erste Stufe bildet dabei das Gespräch mit den Eltern, sofern diese sich kooperativ zeigen. In der zweiten Stufe dürfen sich Ärzte mit ihrem jeweiligen Verdacht Beratung und Hilfe beim Jugendamt einholen. Erst in der dritten Stufe darf ein begründeter Verdacht an das Jugendamt direkt gemeldet werden. Die Eltern sind, insofern keine größere Gefahr für das Kind daraus erwächst, über die bevorstehende Meldung zu informieren.
Schließlich ermöglicht noch §34 StGB, dass bei einem rechtfertigenden Notstand, also der unmittelbaren Kindeswohlgefährdung, das Kind zu schützen ist, indem die behandelnde Ärztin oder der Arzt die Schweigepflicht bricht, um weiteren Schaden von dem betreffenden Kind abzuwenden.
Cave: Beschuldigen Sie keine konkreten Personen aufgrund Ihres Verdachts, sondern melden Sie immer nur den Verdacht auf das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung!
Cave: Dokumentieren Sie gewissenhaft und allumfassend. In einer zukünftigen Gerichtsverhandlung müssen Sie darlegen, wie Sie aus medizinischer Sicht zu Ihrem Anfangsverdacht gekommen sind.
Anm. d. Red.: Der vorliegende Artikel gibt Aussagen des unten benannten Symposiums wieder und erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch kann der Beitrag keine rechtliche Beratung ersetzen. Informieren Sie sich also von Zeit zu Zeit an Ihrem jeweiligen Praxisort, welche Pflichten und gesetzlichen Rahmenbedingungen für Sie gelten, wenn Sie einen Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung vorbringen möchten.
Quelle: Symposium "Bleeding disorder, accident or violence in children?", GTH19, Berlin, 28.02.2019