Statistisch gibt es fast überall in Niedersachsen mehr Kinderärzte als nötig. Warum sind die Praxen vielerorts überfüllt? Viele Mediziner fordern neue Regeln für die Versorgung von Mädchen und Jungen.
Steigende Geburtenraten haben den Bedarf an Kinderärzten erhöht. "Zurzeit sind die Wartezimmer überfüllt, der Unmut der Eltern wächst, und Kinder- und Jugendärzte arbeiten am Limit", sagte der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), Detlef Haffke. Das Problem: Rein statistisch gibt es in fast allen Regionen eine Überversorgung. "Lediglich im Landkreis Cloppenburg und im Landkreis Nienburg/Weser kann sich jeweils ein weiterer Kinderarzt niederlassen", so Haffke.
Wie viele Arztpraxen in einem Gebiet erlaubt sind, ist streng geregelt. Grundlagen dafür sind ein Bundesgesetz und die sogenannte Bedarfsplanungs-Richtlinie. Sie dient den Kassenärztlichen Vereinigungen der Bundesländer als Grundlage für regionale Pläne. "Wir können uns aktuell nur an den Aussagen der Bedarfsplanung orientieren", so die Sprecherin des niedersächsischen Gesundheitsministeriums Naila Eid. "Uns ist eine wohnortnahe ärztliche Grundversorgung in Niedersachsen sehr wichtig."
Aus Sicht vieler Mediziner führen die derzeitigen Regeln zu Problemen. "Es muss bei den Verhältniszahlen nachgebessert werden", sagt Sprecher Haffke und verweist darauf, dass in Niedersachsen eine Kinderärztin oder ein Kinderarzt je nach Region für 2.405 bis 4.372 Kinder zuständig ist. Bei der Planung werde nicht berücksichtigt, dass heute viel mehr Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen empfohlen und von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden als früher. "Die Intensität der Behandlung jedes einzelnen Kindes nimmt massiv zu."
Zudem verlangen Kindergärten und Schulen ärztliche Bescheinigungen, damit etwa vormals erkrankte Kinder die Einrichtungen wieder besuchen können. Als weiteres Problem sieht Haffke, dass sich immer mehr Kinderärzte auf Fachgebiete spezialisieren. "Solche Praxen fallen dann für die normale medizinische Grundversorgung aus." Die Forderung der KVN ist klar: "Die Bedarfsplanung muss an den tatsächlichen Bedarf angepasst werden", sagt Sprecher Haffke. "Und sie muss flexibler werden. Kinder- und Jugendarztpraxen müssen dort sein, wo Eltern sie brauchen, vor allem in den dicht besiedelten Großstadtvierteln oder auch auf dem Land."
Im kleinen Nachbarbundesland Bremen gibt es ähnliche Forderungen. "Die Tätigkeit von Kinderärztinnen und Kinderärzten hat sich verändert", sagt Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD). "Wir brauchen deshalb dringend eine neue Bedarfsplanung auf Bundesebene, die der Realität in den Arztpraxen entspricht. Ich bin froh, dass der vorliegende Entwurf des Koalitionsvertrags das Thema aufgreift."
Die Verbesserung der medizinischen Versorgung von Kindern ist ein bundesweites Thema. "Die aktuelle Bedarfsplanung für kinder- und jugendärztliche Praxen entspricht nicht dem viel größeren tatsächlichen Bedarf", schrieben etwa Vertreter des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte sowie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin 2017 in einem gemeinsamen Positionspapier, das auch Handlungsempfehlungen für die Politik enthält.
Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen sieht ein weiteres Problem. "Es gibt zu wenig Nachwuchsmediziner", sagt Haffke. Ihm zufolge müssten deutlich mehr junge Medizinerinnen und Mediziner in Kinderheilkunde ausgebildet werden.