Für die künstliche Ernährung seines unheilbar kranken und dementen Vaters bekommt ein Sohn von dem Arzt keinen Schadenersatz. Das Landgericht München I wies am Mittwoch die Klage ab. Der Sohn hatte Schmerzensgeld und Behandlungskosten in Höhe von 150.000 Euro geltend gemacht: Die künstliche Ernährung habe das Leiden nur verlängert. Der Vater war von 2006 an per Magensonde ernährt worden und starb 2011. Spätestens ein Jahr vor dem Tod sei die Sonde nicht mehr fachärztlich angemessen gewesen, hatte der Sohn argumentiert.
Nach gängigen Leitlinien habe es keine objektive Indikation für die künstliche Ernährung mehr gegeben, urteilte auch das Gericht. Es sei aber eine höchstpersönliche Entscheidung, ob ein Leben in einem solchen Fall lebenswert sei und erhalten werde oder nicht. Es habe keine Patientenverfügung gegeben und der mutmaßliche Wille des Patienten sei nicht zu ermitteln gewesen.
Das Gericht sah das Versäumnis des Arztes darin, dass er ab 2010 den Sohn und vor allem den Betreuer nicht darüber informiert habe, dass ein über die reine Lebenserhaltung hinausgehendes Ziel nicht mehr erreichbar gewesen sei. Das wertete das Gericht als Behandlungsfehler. Allerdings sei unklar und nachträglich nicht herauszufinden, ob ein solches Gespräch wirklich zu einer Beendigung der künstlichen Ernährung geführt hätte.
In der Regel klagen Angehörige, manchmal auch posthum, weil Ärzte zu wenig getan haben. Dass jemand argumentiere, es sei fehlerhaft gewesen, das Leben - ohne erwartbare Verbesserung des Zustandes - zu erhalten, sei ungewöhnlich, sagte Richter Peter Lemmers.
Der Fall ist keineswegs beendet. Anwalt Wolfgang Putz kündigte Berufung an. Er will bis zur letzten Instanz gehen. "Da es diese Fallgestaltung noch nie in der Rechtsgeschichte gegeben hat, wollen wir eine höchstrichterliche Entscheidung durch den Bundesgerichtshof." Die Argumentation des Gerichts, dass der Sohn sich nicht sicher gegen ein weiteres Leiden des Vaters entschieden hätte, überzeuge nicht.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sieht in dem Fall zwar nicht das Potenzial, Rechtsgeschichte zu schreiben. "Er zeigt jedoch, wie wichtig es ist, in gesunden Tagen eine praxistaugliche Patientenverfügung zu schreiben. Das hätte Leid erspart." Auch für Betreuer sei die Entscheidung eine Mahnung. "Muss der mutmaßliche Wille ermittelt werden, haben sie eine hohe gesetzliche Verantwortung."