Welche Folgen wird die Klimakrise für das Gesundheitswesen haben? Was können Ärzteschaft und Kliniken konkret tun – nicht nur im Rahmen von Prävention, Diagnose und Therapie, sondern auch im Hinblick auf klimaneutrale Praxen und Krankenhäuser? Darüber diskutieren immer mehr Mediziner zunehmend konkret und engagiert. Prof. Dr. Sebastian Schellong, medizinischer Direktor am Gefäßzentrum am Städtischen Klinikum Dresden-Friedrichstadt, macht sich in der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin stark für eine Sensibilisierung der Kollegen für die Themen rund um die Klimaerwärmung. Im esanum-Interview erklärt der Gefäßmediziner seine Beweggründe und Ziele.
esanum: Prof. Schellong, unter Medizinern und Umweltexperten ist es weitgehender Konsens, dass Klima und Gesundheit einen engen Zusammenhang haben. Was bedeutet das für Mediziner?
Schellong: Das hat zwei Aspekte. Der eine ist: wie richte ich mich als Arzt in meinem Arbeitsumfeld ein? Wie beteilige ich mich am Projekt klimaneutrale Praxis, klimaneutrales Krankenhaus? Das wäre ein Schritt, seine eigene Arbeit, das eigene Umfeld an die Probleme, die wir mittlerweile alle kennen, anzupassen. Der andere Aspekt ist: wie berate ich meine Patientinnen und Patienten? Hier bekommt die Beratung noch einmal einen anderen Kontext: Gesunde Ernährung, mehr physische Aktivität – das hat beides mit dem Klima zu tun. Weniger Fleischkonsum hat Einfluss auf weniger intensive Tierhaltung, weniger Methanausstoß, weniger Treibhausgase, weniger Feinstaub. Mehr Mobilität per Fahrrad nützt dem Klima ebenso deutlich. Diese Zusammenhänge stellen vielleicht für jede Ärztin, jeden Arzt, eine besondere Motivation dar, mit der Beratung nicht nachzulassen. Da sie für jeden einzelnen Patienten wichtig ist, aber eben auch für uns alle zusammen.
esanum: Lebensstiländerungen sind ja ein besonders zähes Thema in der Arzt-Patienten-Kommunikation. Zeitaufwändig und nicht immer erfolgreich?
Schellong: Es ist ein frustrierendes Geschäft und die aufwändigen Gespräche werden eben auch nicht vergütet. Ich muss dem Patienten nichts von der Schweinemast erzählen, aber wenn man sich bewusst ist, dass das Ganze einen größeren Kontext hat, eine Aufgabe über die individuelle Beratung hinaus, bestärkt mich das, trotz Frust beispielsweise am Thema gesunde Ernährung dranzubleiben.
Ich habe natürlich meine Routinen, wie ich diese Gespräche führe, welche Punkte und Argumente ich abrufe und sehe auch: kommt das beim Patienten an? Und wenn ich starke Ablehnung spüre, dann kürze ich das Gespräch ab. Wenn ich aber auf jemanden treffe, der erkennen lässt, dass er sich gedanklich mitbewegt, dann intensiviere ich das Gespräch. Das ist wie beim Thema Rauchen - wir dürfen nicht nachlassen, die Patienten anzuhalten, mit dem Rauchen aufzuhören.
esanum: Sind Ihre Kolleginnen und Kollegen für das Thema ausreichend sensibilisiert?
Schellong: Ich denke schon. Wir sehen, was das mit den chronisch Herzkranken, den Lungenkranken, mit den alten Menschen macht. Wir sehen und verstehen, wie die Klimafolgen unsere Patienten gefährden. Das führt bei dem einen oder der anderen dazu, dass sie oder er auch gesellschaftlich aktiv wird - über die berufliche Tätigkeit hinaus. Die DGIM hat beinahe 30.000 Mitglieder, die haben natürlich unterschiedliche Haltungen und Meinungen. Aber die Zahl derer, die die Gefahren des Klimawandels in ihre Gedankenwelt einbeziehen, wächst.
esanum: Welche Klimawandelfolgen machen Ihnen besonders große Sorgen?
Schellong: Das sind vorrangig die Hitzeperioden. Wenn wir weiter so heiße Sommer haben, werden viele ältere Menschen leiden. Auch Menschen mit chronischen Herzerkrankungen und Atemwegserkrankungen sind erhöhten Gefahren ausgesetzt. Corona ist schlimm, doch eine Hitzewelle kann in Altenheimen ebenfalls viele Tote verursachen, einfach, weil sie nicht ausreichend zu trinken bekommen. Viele Patienten kommen mit Flüssigkeitsmangel ins Krankenhaus, und denen kann man nicht unbedingt gerecht werden. Es können locker 30 Minuten vergehen, wenn man versucht, einer 90jährigen eine Schnabeltasse Wasser zu verabreichen. Wer hat angesichts des Pflegenotstands diese Zeit?
esanum: Und welche Tatsachen machen Ihnen Hoffnung?
Schellong: Ich denke, dass immer mehr Menschen aus der Boomer-Generation verstehen, dass unser Lebensstil den Kindern und Enkeln nicht unbedingt die besten Bedingungen auf der Erde schafft, dass dieses Bewusstsein auch bei etablierten und saturierten Menschen wächst und sie mit einem wachsendem Verständnis auf die FFF-Demonstranten schauen. Das beobachte ich zumindest in meinem Umfeld. Und viele Junge machen ohnehin ihr Ding, stellen ihre Ernährung zum Beispiel um und kritisieren den Hang zur täglichen Bratwurst.
esanum: Was tut die DGIM, um Medizin und Gesellschaft über die gesundheitlichen Risiken des Klimawandels aufzuklären?
Schellong: Auf den DGIM-Kongressen ist das inzwischen Dauerthema. Mit der Initiative Klimawandel und Gesundheit, mit dem DGIM-Talk mit Eckhard von Hirschhausen, ist dazu schon viel Spannendes gelaufen. Als Konsequenz aus dieser kontinuierlichen Linie gründen wir jetzt gerade eine Arbeitsgruppe "Gesundheit und Klima".