Medizinische Analytik ist mittlerweile in der Lage, Prozesse, die früher viele Stunden in Anspruch nahmen, innerhalb weniger Minuten durchzuführen. Mithilfe immer kleiner und schneller werdender Geräte können Laboruntersuchungen durchgeführt werden, ohne dabei auf die Ausstattung großer Zentrallabore zurückgreifen zu müssen. Das spart Zeit und lange Wege. Worauf es dabei allerdings zu achten gilt und welche Fragen sich aus der voranschreitenden Miniaturisierung ergeben, erklärte Professor Dr. Klaus Drese, Leiter des Instituts für Sensor- und Aktortechnik (ISAT) an der Hochschule Coburg auf der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM) heute in Berlin.
Lab-on-a-Chip-Technologien sind produktionstechnisch bereits heute für einen Massenmarkt ausgelegt. In einigen Bereichen haben sie schon seit längerer Zeit Einzug in den Alltag gehalten: Schwangerschaftstest oder Tests zur Blutzuckermessung werden ganz selbstverständlich genutzt. Mikrotechnologien entwickeln sich in rasantem Tempo und legen die Vermutung nahe, dass Lab-on-a-Chip-Systeme in wenigen Jahren so regelmäßig zum Einsatz kommen werden wie Smartphones. Technisch gesehen ist schon jetzt sehr viel möglich – häufig entscheidet die Wirtschaftlichkeit darüber, welche Entwicklungen sich durchsetzen.
Denkbar wäre zum Beispiel, dass Gentests zukünftig direkt in der Arztpraxis durchgeführt würden. Gynäkologinnen und Gynäkologen könnten so direkt vor Ort analysieren, ob ein Befall mit humanen Papillomviren (HPV) vorliegt. Dies würde Patientinnen Unsicherheit und Wartezeit ersparen.
Klassisch wird in der Labordiagnostik nach einzelnen Bakterien, Molekülen oder ähnlichen Zielen gesucht. Mittlerweile ermöglicht die Digitalisierung durch leistungsstarke Rechner, neuronale Netze und Deep Learning eine differenziertere Analytik ohne komplexe biochemische Vorgänge. In Kombination mit Lab-on-a-Chip, das heißt mit der Möglichkeit, das Labor an den Ort zu verlegen, an dem es benötigt wird, ergeben sich so ganz neue Perspektiven.
In der physikalischen Methode der Massenspektrometrie wird zum Beispiel ein wesentlich breiteres Spektrum an Informationen aufgenommen, was ermöglicht, anhand einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu sagen, welches Bakterium vorliegt. Drese nennt hier ein Beispiel aus England: Dort konnte mithilfe des bei einem chirurgischen Eingriff abgesaugten Gases eine Aussage darüber gemacht werden, ob es sich beim untersuchten Gewebe um Krebsgewebe handelte.
Als weitere neue Analyse-Methode beschreibt Drese Flüssigbiopsien, die jedoch nicht mehr zur Lab-on-a-Chip-Technologie gezählt werden können, da für sie Blutmengen in der Größenordnung von 10ml erforderlich sind. Mit einer Flüssigbiopsie oder „liquid biopsy“ können einzelne Zellen gezielt gesucht und identifiziert werden – so beispielsweise zirkulierende Tumorzellen, freie Tumor-DNA oder -RNA. Dies ermöglicht, auf belastendere Verfahren wie Computertomografien in der Nachsorge von Krebspatientinnen und -patienten – zumindest teilweise – zu verzichten und wesentlich genauere Aussagen zu treffen. Diese Verfahren werden immer weiter entwickelt und dienen nicht nur der schnelleren Diagnostik, sondern erlauben auch die bessere Kontrolle von Krankheitsverläufen und Therapien. So geht es nicht allein um Miniaturisierung, sondern – vor allem im Bereich der Blutanalyse – um Präzisierung.
Die Frage, die sich bei der rasanten Entwicklung von Technologien und Möglichkeiten stellt, ist die nach der Rolle des Arztes oder der Ärztin – und damit auch nach der Qualitätssicherung der erhobenen Analysedaten. Technologien liefern Informationen, die jedoch erst dann eine Aussagekraft erhalten, wenn sie bewertet werden. Es reicht nicht, Datenanalysen vorzunehmen, denn damit allein ist der Patientin oder dem Patienten nicht geholfen. Wenn es um Diagnostik geht, wird ärztliche Begleitung insofern unverzichtbar, als sie erforderlich ist, um die Daten miteinander zu korrelieren und in Kontext zu bringen und daraus eine gesicherte Diagnose zu erstellen, die geeignete Therapieform zu wählen und den Krankheitsverlauf zu begleiten und zu kontrollieren. Lab-on-a-Chip ist letztlich zwar Analytik, nicht jedoch Diagnostik.
Quelle: Pressekonferenz DGIM Berlin, 07.02.2019, Vortrag Prof. Dr. Dresen, Lab-on-a-Chip - das Labor für unterwegs