Die Wunde schmerzt in Ostdeutschland stark. Hausärzte sind vor allem in ländlichen Regionen selten. Händeringend sucht man nach Nachwuchs. Denn mit ihm steht und fällt die Entscheidung, ob die ostdeutsche Provinz auch künftig lebenswert bleibt.
Hausarzt Christoph Lohmann aus dem sächsischen Callenberg sagt es deutlich. "Wir brauchen einen Systemwechsel, aber dafür ist es im Grunde schon zu spät." Die Generation, die junge Hausärzte ausbilden könnte, sei durch Grabenkämpfe in der Ambulanz ausgelaugt, sagt der 32 Jahre alte Allgemeinmediziner. All die Maßnahmen, die in ostdeutschen Ländern zur Gewinnung von Hausärzten unternommen werden, seien nur "ein Tropfen auf den heißen Stein".
Lohmann hat in Magdeburg Medizin studiert. Während seine Kommilitonen danach am liebsten unter das schützende Dach einer Klinik strebten, ist der 32-Jährige in die Provinz zurückgekehrt, aus der er stammt. Lohmann mag die Arbeit mit Menschen, die er kennt und nicht nur in einem anonymen Klinikbetrieb als "Durchlaufposten" sieht. "In den Kliniken bekommt man Geld für eine OP und nicht fürs Reden", sagt er etwas lakonisch und kritisiert damit ein Gesundheitssystem, das mit Fallpauschalen zu höchster Effizienz angehalten ist.
Lohmann zufolge haben Hausärzte heute drei Probleme: die Haftpflicht, die Bürokratie und die Vorgabe, Gewinn erwirtschaften zu müssen. Dabei habe Wirtschaftlichkeit eigentlich nichts im Gesundheitswesen verloren: "Das macht das ganze System kaputt." Lohmann schlägt deshalb genossenschaftliche Polikliniken mit angestellten Ärzten vor. Damit wäre auch das Problem der Notdienste geklärt. Zudem ließen sich dort Ausbildungsplätze schaffen.
Zwei weitere Argumente sind für ihn noch wichtiger: die wirtschaftliche und die rechtliche Sicherheit. "Man ist nicht allein, kann sich die teuren Medizingeräte mit anderen Ärzten teilen. Durch die zentrale Planung wären auch die Verwaltungskosten geringer. "Jetzt macht das jeder allein, das ist eine sinnlose Verschwendung von Ressourcen." Lohmann klagt wie andere Kollegen über überbordende Bürokratie. Etwa 20 Prozent der Arbeitszeit geht täglich für Dokumentationspflichten drauf.
Seinen Berufsstand sieht der Sachse deshalb vom Aussterben bedroht: "Das ist wie mit dem Grundwasser. Wenn man zuviel davon abpumpt, ist es eines Tages weg." Dabei hat er im Vergleich zu anderen Hausärzten noch Glück. Weil er sich die Praxis mit seinem Vater teilt, musste er sie nach dem Studium auch nicht allein abbezahlen. Diese Möglichkeit hat nicht jeder Arzt auf dem Land. Und die Belastung ist hoch. Im Schnitt hat jeder Hausarzt in Sachsen 960 Patienten, rechnet Lohmann vor. In seiner Praxis sind es sogar noch mehr.
Verzweifelt versuchen die ostdeutschen Länder dem drohenden Kollaps zu entgehen - meist mit Geld. Thüringen hat ein Förderprogramm für Arztpraxen im ländlichen Raum aufgelegt. Mediziner können vom Land einen Zuschuss von bis zu 20.000 Euro erhalten, wenn sie in Orten mit höchstens 25.000 Einwohnern eine Praxis eröffnen oder übernehmen. Noch sind die Zahlen in Thüringen nicht dramatisch. Laut Kassenärztlicher Vereinigung sind aktuell knapp 40 Hausarztpraxen bei insgesamt 1.500 praktizierenden Hausärzten unbesetzt.
Zudem unterstützt die Thüringer Stiftung zur Förderung ambulanter ärztlicher Versorgung angehende Haus- und Augenärzte bei der Ausbildung zum Facharzt. Sie erhalten während dieser Zeit monatlich 250 Euro, wenn sie nach Abschluss der Ausbildung vier Jahre im Land bleiben. Gefördert werden auch Praktika in Kleinstädten und Dörfern. Außerdem unterhält die Stiftung einzelne Praxen, in denen junge Ärzte das Know-how der Praxisführung lernen und sie später übernehmen können. Zehn dieser Stiftungspraxen gibt es bereits.
In Sachsen-Anhalt sind aktuell 132 Hausarzt-Stellen nicht besetzt - obwohl bereits heute jeder achte Allgemeinmediziner das Rentenalter erreicht hat und immer noch weiter praktiziert, rechnete Regierungschef Rainer Haseloff (CDU) unlängst vor. Bis 2032 scheiden nach Prognosen über 900 Hausärzte aus. Die gleiche Vorhersage geht davon aus, dass mehr als 260 Praxen bis dahin nicht besetzt werden können. Die Regierung will unter anderem mehr im Land verwurzelte Bewerber zum Medizinstudium in Halle oder Magdeburg zulassen.
Nun will Sachsen-Anhalt eine "Landarztquote" einführen. Fünf Prozent der 450 Studienplätze sollen fortan unter diesem Blickwinkel vergeben werden. Die Uni Halle hat ein Programm aufgelegt, in dem Hausärzte Patenschaften für Studierende übernehmen, um sie anzulernen und zu begleiten. Die Kassenärztliche Vereinigung vergibt Stipendien, um junge Mediziner für eine Landpraxis zu gewinnen. Mehr als 100 Stipendiaten profitierten bereits von dem Programm. Auch sie müssen sich verpflichten, eine vorher definierte Zeit im Land zu bleiben.
In verschiedenen Regionen Sachsen-Anhalt setzt man wie anderswo im Osten wieder auf medizinische Versorgungszentren. Sie funktionieren in etwa so wie die Polikliniken in der DDR und haben die Vorteile, wie sie auch Christoph Lohmann aus Sachsen aufzählt. Die Mediziner sind angestellt statt selbstständig, sie können auch Teilzeit arbeiten und so Familie und Beruf besser vereinbaren. Haseloff wirbt eindringlich für einen Ausbau dieser Modelle.
Auch Sachsen greift Medizinstudenten mit Neigung zum Landarzt unter die Arme - mit 1.000 Euro monatlich bis Ende der Regelstudienzeit. Dafür müssen sie mindestens sechs Jahre außerhalb der Großstädte inklusive Radebeul bei Dresden arbeiten. Zugleich hofft der Freistaat auf Ärzte aus den Nachbarländern Polen und Tschechien. Das Netzwerk "Ärzte für Sachsen" bündelt Aktivitäten und wirbt bundesweit um medizinischen Nachwuchs für einen Einsatz im Freistaat.
Brandenburg hätte nichts gegen eine "Landarztquote", sie bleibt aber graue Theorie. "Rechtlich umsetzbar ist eine solche Quote allerdings nur an staatlichen Universitäten. Solche gibt es im Land Brandenburg aber nicht", erklärt das Gesundheitsministerium in Potsdam. Eine Mediziner-Ausbildung gibt es hier nur an einer privaten Hochschule.
Die Kassenärztliche Vereinigung in Brandenburg KVBB fördert mit mehreren Programmen die Ansiedlung von Ärzten in Regionen, in denen Engpässe drohen. So gibt es Zuschüsse bei der Übernahme einer Praxis oder Neugründung. Laut Bundesärztekammer hat in keinem anderen Flächenland die Zahl der Ärzte 2017 so stark zugenommen wie in Brandenburg. Doch noch immer hat man hier eine bittere Pille zu schlucken: Bei der Arztdichte ist Brandenburg bundesweit noch immer Schlusslicht.