Die Zahl der Geflüchteten mit traumatischen Erlebnissen ist nach Expertenschätzungen gewaltig. Sie stellt das deutsche Gesundheitssystem vor große Herausforderungen. Nach Ansicht der Ärzteschaft und Psychotherapeutenschaft ist dauerhafte Hilfe nötig.
Die psychotherapeutische Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen in Baden-Württemberg lässt nach Auskunft der Landesärzte- und Landespsychotherapeutenkammer zu wünschen übrig. Dies geht aus dem 3. Bericht zur Versorgung traumatisierter Geflüchteter hervor, den die Organisationen zum Tag der Menschenrechte (10. Dezember) in Stuttgart vorstellten.
Zu lange Wartezeiten auf einen Therapieplatz, keine ambulanten Angebote und Mangel an Personal in psychiatrischen Einrichtungen seien die Hauptprobleme. Als zusätzliches Hindernis sehen die Kammern die Corona-Pandemie. Einsamkeit, Depressionen und Zukunftsängste dürften wohl diejenigen hart treffen, die wegen ihres unsicheren Aufenthalts kein soziales Netz haben und mit Verständigungsschwierigkeiten kämpfen.
Da die Kosten einer Therapie nur im Einzelfall übernommen werden, appellieren die Organisationen an die Landesregierung, sich langfristig an der Finanzierung der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Traumaopfer (PSZ) im Land zu beteiligen. Insgesamt 2.500 Geflüchtete hätten dort im vergangenen Jahr Hilfe erhalten. Im Jahr 2014 seien es 1.700 gewesen. "Die Zentren stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen und können in vielen Fällen nicht im eigentlich benötigten Umfang helfen", betont der Menschenrechtsbeauftragte der Landesärztekammer, Robin Maitra. Zurzeit sei man noch zu abhängig von Förder- und Spendengeldern, öffentliche Gelder müssten unter hohem Aufwand stets neu beantragt werden.
An den Gesamtkosten beteiligt sich die Landesregierung laut Maitra mit rund 25 Prozent, in anderen Bundesländern sind es um die 35 Prozent. Das Asylbewerberleistungsgesetz kann nur dann eine psychotherapeutische Versorgung ermöglichen, wenn die Krankenkassen bereit sind, die Kosten für Psychotherapie und Dolmetscher in den Zentren zu übernehmen.
Birgitt Lackus-Reitter, die Menschenrechtsbeauftragte der Landespsychotherapeutenkammer, ergänzt: "Wir müssen davon ausgehen, dass die Hälfte der Menschen, die zu uns kommen, traumatisiert ist. Die Hälfte davon benötigt Hilfe." Ohne Hilfe sei auch die berufliche und soziale Integration dieser Menschen in die Gesellschaft sehr viel schwieriger.
Bundesweit gibt es derzeit mehr als 40 psychosoziale Zentren. Sie alle kämpfen mit massiven Finanzierungsproblemen, da die staatlichen Mittel nur zeitlich begrenzt vergeben werden. Bei langwierigen Therapien ist das für die Betroffenen ein Problem.
Nach Auskunft von Lackus-Reitter sind Sprach- und Kulturbarrieren zwischen TherapeutInnen und PatientInnen ein weiteres Problem. Geschulte DolmetscherInnen würden oft nicht finanziert. Sie ist selbst Psychotherapeutin und erzählt, dass viele TherapeutInnen selbst für Dolmetscher-Kosten aufkämen und auf ehrenamtliche Angebote ausweichen müssten.
Damit den Neuankömmlingen noch effektiver geholfen werden kann, plädieren die beiden Kammern dafür, Geflüchtete bereits in den Landeserstaufnahmestellen nach möglichen psychischen Belastungen zu untersuchen. "Erste Symptome wie Schlafstörungen, Unruhe oder Konzentrationsprobleme können schon ein Hinweis darauf sein, dass etwas nicht stimmt", erklärt Lackus-Reitter. Untersuchungen belegten, dass viele Geflüchtete gleich mehrfach traumatisiert seien - etwa durch Folter, Verschleppung von Angehörigen oder Angriffen des Militärs.