Die Bilder von Aussätzigen-Kolonien füllten einst Filme. Vor 20 Jahren endlich die erlösende Nachricht: Lepra ist ausgerottet. Doch der Jubel war verfrüht, die Seuche kam zurück. Auch im Jahr 2020 müssen Betroffene mit dem Stigma leben.
Jyothi (Name geändert) war zwölf Jahre alt, als kleine helle Hautstellen in ihrem Gesicht und an den Händen auftauchten. Berührte man die Stellen, fühlte sie nichts. Später stellte der Mediziner Vivek Lal von der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe die Diagnose: Das indische Mädchen hatte Lepra. An den hellen Stellen waren die Nerven tot.
Eine Diagnose wie Jyothi bekamen im Jahr 2018 nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) knapp 210.000 Menschen weltweit – 120.000 allein in Indien. Vor allem in Entwicklungsländern gibt es immer wieder neue Fälle der Infektionskrankheit – in Indien, Brasilien, Kolumbien oder Afghanistan. Oft ist inzwischen nicht die Krankheit, sondern die Stigmatisierung der Betroffenen das Hauptproblem.
Zum Weltlepratag am 26. Januar wollen ExpertInnen in aller Welt Aufklärung betreiben. Der Tag wird seit 1956 immer Ende Januar begangen, nahe am Todestag von Mahatma Gandhi, der sich auch für Leprakranke engagiert hatte.
Lepra wurde schon an Mumien aus dem alten Ägypten nachgewiesen. Erst 1873 entdeckte aber der norwegische Mediziner Gerhard Armauer Hansen das hinter der Krankheit steckende Bakterium Mycobacterium leprae. Es lässt Nerven absterben, die Betroffenen spüren an den betroffenen Stellen nichts mehr. Verletzen sie sich dort, können sie unbemerkt Infektionen bekommen – die im Extremfall und bei medizinischer Unterversorgung zum Tod führen können.
Jahrtausendelang wurden Leprakranke als "Aussätzige" behandelt, mussten in isolierten Kolonien auf Inseln oder in abgelegenen Landstrichen leben. In Japan wurde erst 1996 ein Gesetz abgeschafft, das die Inhaftierung und Zwangssterilisierung von Leprakranken vorsah. In Indien gibt es noch immer 700 Kolonien für Leprakranke, sagte der Mediziner Lal. In einigen Kulturkreisen wird Lepra weiterhin als Strafe Gottes für Sünden auf Erden gesehen. Erst 2018 änderte das indische Parlament ein Gesetz, das eine Lepra-Erkrankung des Partners als akzeptierten Grund für eine Scheidung ansah.
Jyothis Eltern seien geschockt gewesen, sagte Mediziner Lal. Sie hätten Angst gehabt, dass Körper und Gliedmaßen ihrer Tochter sichtbare Verformungen bekommen könnten. Dass sie vielleicht nie heiraten könnte. Als Jyothi Medikamente nahm, erkannten auch ihre MitschülerInnen, woran sie litt. Die Haut wurde etwas dunkler – eine normale Nebenwirkung, die wieder verschwindet, wenn man die Medikamente absetzt, wie Lal sagte. Kinder hätten Angst gehabt, dass sie sich anstecken könnten, wenn sie Jyothi berührten. Da habe sie der Schulleiter aufgefordert, die Schule zu verlassen.
MedizinerInnen sind sich sicher, dass solche Maßnahmen übertrieben sind. Lepra ist wenig ansteckend, leicht zu diagnostizieren und mit Medikamenten schon seit den 1980er Jahren heilbar, wie die Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe betont. Vor 20 Jahren hatte die WHO Lepra als eliminiert eingestuft – die Erkrankung sei kein globales Problem für die öffentliche Gesundheit mehr. Kontrollmechanismen wurden abgeschafft, die Stigmatisierung Betroffener nahm daraufhin noch zu.
"Man dachte damals, dass eine Quote von weniger als einem Fall pro 10.000 Einwohner niedrig genug wäre, um die Ansteckung zu unterbrechen – doch das hat sich nicht bewahrheitet", erläuterte Burkard Kömm, Geschäftsführer der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe. Heute steht Lepra auf der WHO-Liste der 20 vernachlässigten Tropenkrankheiten. Noch immer müssen Menschen sich verstecken, wenn die Krankheit ausbricht – oft nach einer Inkubationszeit von vielen Jahren oder gar Jahrzehnten.
Sabine Ludwig aus Würzburg, Sprecherin der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe, hat in den vergangenen Jahren viele Leprakranke kennengelernt. Seit sieben Jahren besucht sie Projekte und Hilfseinrichtungen in den betroffenen Regionen. Ein alter Mann im Südsudan ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. "Er lebt in einem Dorf, das nicht durch eine Straße erreicht wird", sagte sie. Die MitarbeiterInnen einer mobilen Krankenstation müssen zwei Stunden zu Fuß gehen, um ihn zu versorgen. Wenn sie Glück haben, klappt der Weg mit einem Gelände-Motorrad.
"Wenn die Helfer kommen, das ist ein Highlight für den Mann", sagte Ludwig. Die SanitäterInnen und MedizinerInnen versorgen nicht nur Wunden und bringen Medikamente, sie sind auch der Draht in die Außenwelt. "Die Leute wollen über ihr Leben erzählen, sie wollen erzählen, was Lepra bei ihnen angerichtet hat", sagte Ludwig.
Stigmatisierung ist kein Thema ausschließlich für Entwicklungsländer. Obwohl in Europa längst ausgerottet, widmet sich eine Einrichtung in Spanien weiterhin der Bekämpfung der Krankheit. Im Dorf Fontilles im bergigen Hinterland der Costa Blanca unweit von Alicante wohnen im Sanatorium San Francisco de Borja immer noch knapp zwei Dutzend frühere Kranke, die alle sehr alt sind.
Warum bleiben sie im Sanatorium, wenn sie gesund sind? Einige hätten zum Beispiel Verletzungen, die eine tägliche Behandlung erforderlich machten, andere seien wegen einer verspäteten Diagnose in Fontilles besser aufgehoben, erklärte der Medizinische Leiter José Ramón Gómez in verschiedenen Interviews spanischer Medien. Für zahlreiche der Insassen trifft aber der schrecklichste Grund zu. "Sie werden von der Gesellschaft und auch von ihren eigenen Familien immer noch ausgegrenzt", so Gomez.
"Wir haben die Krankheit besiegt, die Stigmatisierung noch nicht", klagte auch die für freiwillige Dienste und Sensibilisierung zuständige Direktorin des Sanatoriums, Yolanda Sanchis. Die Arbeit des seit 1909 existierenden Sanatoriums ist aber nicht umsonst. Die Stiftung Fontilles finanzierte 2019 nach eigenen Angaben 27 Projekte in elf Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, die insgesamt rund 400.000 Menschen zugute kamen.