Die Kurzsichtigkeit von Schulkindern zwischen sechs und acht Jahren hat sich im vergangenen Jahr um 0,3 Dioptrien verschlechtert. Chinesische Forschende vermuten, dass die Einschränkungen im Lockdown dies gefördert haben. Auch deutsche Augenärzte sind alarmiert.
Routineuntersuchungen an 123.000 Schulkindern in der chinesischen Stadt Shadong haben ergeben, dass sich die Kurzsichtigkeit der Sechs- bis Achtjährigen im Jahr 2020 im Schnitt um 0,3 Dioptrien verschlechterte. Dabei verglichen die Forschenden die Ergebnisse ver vergangenen fünf Jahre und die zeigten: Der Anteil der Kurzsichtigen pro Jahrgang stieg bei den Sechsjährigen von 5,7 Prozent in 2019 auf 21,5 Prozent im Jahr 2020, bei den Achtjährigen erhöhte sich die Quote in diesem Intervall von 27,7 auf 37,2 Prozent. Vor allem jüngere Kinder, bei denen der Augapfel noch wächst, sind demnach besonders von mangelnden Aktivitäten im Freien und Homeschooling betroffen.
"Die Stärke der Studie liegt eindeutig in der hohen Fallzahl", sagt Professor Dr. med. Wolf Lagrèze. "Ihre Schwäche liegt darin, dass die Brillenwerte nicht mit erweiterter Pupille bestimmt wurden. Ferner gibt es keine Daten zur Länge des Augapfels, was heute eigentlich Standard ist in derartigen Studien, aber natürlich bei solch einer riesigen Kohorte schwer umzusetzen ist", fügt der DOG-Experte von der Augenklinik des Universitätsklinikums Freiburg hinzu.
Dennoch sind die DOG-Experten besorgt. "Sollte sich der Effekt dieser Studie bewahrheiten, dass Sechs- bis Achtjährige durch einen Lockdown einen solch starken Refraktionsfehler in jungen Jahren entwickeln, ist von einer Zunahme der kindlichen Kurzsichtigkeit auch bei uns auszugehen, da wir im Frühjahr ebenfalls einen längeren Lockdown mit geschlossenen Schulen, aber auch geschlossenen Spielplätzen hatten", ergänzt Professor Dr. med. Alexander Schuster vom Zentrum für ophthalmologische Epidemiologie und Versorgungsforschung der Augenklinik und Poliklinik an der Universitätsmedizin Mainz.
Die DOG-Experten raten daher allen Eltern, ihren Kindern während des Lockdowns einen täglichen Aufenthalt von mindestens zwei Stunden im Freien zu ermöglichen. "Dafür eignen sich gemeinsame Spaziergänge oder auch Spielplätze, die ja glücklicherweise während des derzeitigen Lockdowns nicht gesperrt sind", rät Schuster. "Auch sollten die Schreibtische der Kinder während des Homeschoolings möglichst in der Nähe großer Fenster stehen, um die Leuchtdichte zu erhöhen", ergänzt Lagrèze. Zudem empfehlen die Augenexperten, für den Online-Unterricht große Bildschirme zu nutzen und einen Augenabstand von mindestens einem halben Meter zum Monitor einzuhalten. "Um kleinere Kinder von Smartphones fernzuhalten, die ebenfalls unter Verdacht stehen, Kurzsichtigkeit zu fördern, bieten sich Hörbücher an", so Schuster.
Die Frage, ob die Ursache der Zunahme an Kurzsichtigkeit eher auf verstärkte Bildschirmarbeit oder aber den fehlenden Aufenthalt im Freien zurückzuführen ist, beantwortet die chinesische Studie nicht. Kürzlich konnte allerdings eine große Studie aus Taiwan belegen (2), dass die Zunahme an Kurzsichtigkeit bei Kindern durch einen täglichen Aufenthalt im Freien von 120 Minuten während der Schulzeit umgekehrt werden konnte und die Rate der Kurzsichtigen seither jährlich sinkt – von 50 Prozent auf nun wieder 40 Prozent.
Quellen:
1. Jiaxing Wang et al.: Progression of Myopia in School-Aged Children After COVID-19 Home Confinement, JAMA Ophthalmology. Published online January 14, 2021. DOI: 10.1001/jamaophthalmol.2020.6239 Progression of Myopia in School-Aged Children After COVID-19 Home Confinement | Global Health | JAMA Ophthalmology | JAMA Network
2. Pei-Chang Wu et al.: Increased Time Outdoors Is Followed by Reversal of the Long-Term Trend to Reduced Visual Acuity in Taiwan Primary School Students. Ophthalmology, Volume 127, Issue 11, P1462-1469, November 01 2020. DOI: 10.1016/j.ophtha.2020.01.054 Increased Time Outdoors Is Followed by Reversal of the Long-Term Trend to Reduced Visual Acuity in Taiwan Primary School Students - Ophthalmology (aaojournal.org)