Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin widmet sich in verschiedensten Veranstaltungen wie beispielsweise ihrem jährlichen Kongress oder dem virtuellen DGIM-Life-Talk immer wieder der Frage, wie sich Mediziner:innen auf veränderte klimatische Bedingungen einstellen müssen und was die Ärzteschaft selbst zum Kampf gegen den Klimawandel beitragen kann.
"Hitzewellen, Luftverschmutzung, die Ausbreitung neuer Infektionskrankheiten oder die Verlängerung der Allergie-Perioden sind nur einige der Auswirkungen des Klimawandels, die sich in Zukunft noch stärker als bisher zeigen werden", erklärt beispielsweise Dr. Martin Herrmann, Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit e. V. (KLUG). Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels aufzuklären.
Der DGIM-Vorsitzende Professor Dr. Markus Lerch betont gern die Chancen der Medizin: Der Mensch sei das vermutlich klimatoleranteste Säugetier der Welt. Wir kommen mit Jahresmitteltemperaturen von minus fünf Grad zurecht, wie sie in manchen Gegenden Kanadas und Russlands herrschen, aber auch mit tropischen Mittelwerten von 25 Grad wie in Bangladesch. Dennoch ist zu beobachten, dass die steigenden Temperaturen, wie wir sie in den vergangenen Jahren erleben, mit wachsenden gesundheitlichen Problemen einhergehen.
Hitzewellen, bei denen die Temperatur im Wochendurchschnitt bei 23 Grad oder mehr liegt, fordern jeweils mehrere Tausend Todesopfer. Viele dieser Todesfälle werden aber nicht direkt mit den hohen Temperaturen in Verbindung gebracht – denn die Betroffenen sterben nicht unbedingt am Hitzschlag oder an exotischen Infektionskrankheiten. Vielmehr treibt die mit den hohen Temperaturen einhergehende Kreislaufbelastung das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall in die Höhe, und aufgrund von Flüssigkeitsmangel nehmen Nierenprobleme zu.
"Wir beobachten in den vergangenen Jahren, dass immer mehr Menschen mit internistischen Erkrankungen etwa der Lunge oder des Herzens zu uns kommen, deren Ursache oder Verlauf direkt oder indirekt am Klimawandel liegen können", berichtet Prof. Dr. Georg Ertl, Generalsekretär der DGIM.
Hitzewellen mit Temperaturen von über 30 Grad Celsius haben nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes in Deutschland seit den 1990er Jahren deutlich zugenommen. "Solche Hitzewellen machen sich auch in unseren Notaufnahmen bemerkbar", so Prof. Ertl.
Im vergangenen Jahrzehnt traten etwa deutlich mehr Herzinfarkte im Zusammenhang mit Hitzewellen auf als in den zehn Jahren davor. Statistiken zeigen außerdem, dass an Tagen mit einer Temperatur über 30 Grad Celsius die Sterbequote um etwa zehn Prozent und die der Krankenhauseinlieferungen um fünf Prozent ansteigen.
Diese Tatsachen erfordern erhöhte Aufmerksamkeit auch unter niedergelassenen Mediziner:innen, ist die Kölner Internistin Dr. Susanne Balzer überzeugt. Für multimorbide Patient:innen müssten vermehrt Hausbesuche eingeplant, Menschen mit Herz-Kreislaufproblemen sollten eher in den kühleren Morgenstunden einbestellt werden. Besonders der Aufklärungs- und Monitoringbedarf sei hoch, so Dr. Balzer, die Mitglied in der AG hausärztliche Internisten der DGIM ist. "Viele Medikamente müssen bei Hitze anders dosiert oder die Patienten besonders instruiert werden." Manche Wirkstoffe vermindern das Durstgefühl, andere stören die Temperaturregulation und bei Verschlechterung einer Niereninsuffizienz müssen gewisse Medikamente entsprechend angepasst oder vorübergehend abgesetzt werden. Hinzu kommt, dass wärmere Sommer und mildere Winter dazu führen, dass die Allergiesaison sich um Wochen verlängert, die Pollenbelastung zunimmt und neue, hochallergene Arten wie etwa die Beifuß-Ambrosie sich ausbreiten. "Und die steigende Feinstaubbelastung verschlimmert die Befunde in den Atemwegen zusätzlich", beobachtet Dr. Balzer.
Nicht nur aus Sicht von Umweltschützer:innen stellen also der Klimawandel und die Folgen menschlicher Eingriffe in die Natur zunehmend ein Problem dar. Mediziner:innen warnen: die Gefahr wächst, dass Epidemien und Pandemien entstehen.
"Je weiter der Mensch in bislang unberührte Lebensräume vordringt, desto größer die Risiken für Zoonosen, also Infektionserkrankungen, die vom Tier auf den Menschen überspringen", ist beispielsweise Dr. Anahita Fathi, Internistin in der Sektion Infektiologie am UKE Hamburg und Sprecherin der Jungen DGIM überzeugt.
Deutliche geographische Verschiebungen bereits bekannter Infektionskrankheiten sind zu beobachten. Unter anderem die von Mücken übertragenen und ursprünglich tropischen Krankheiten Dengue oder West-Nil-Fieber, aber auch die von Zecken übertragene FSME. Dr. Fathi sieht unter Kolleg:innen ein wachsendes Problembewusstsein für diese Entwicklung. "Nun müssen wir Ärztinnen und Ärzte auch Teil der Lösung werden", fordert sie – und sie begrüßt den Beschluss des diesjährigen Deutschen Ärztetages, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit in die ärztliche Weiterbildungsordnung aufzunehmen.
Der KLUG-Vorsitzende Dr. Herrmann sieht den Gesundheitssektor im Klimawandel in einer besonderen Verantwortung. Denn dieser "verursacht mehr als fünf Prozent der deutschen Klima-Emissionen und ist für fünf Prozent des Rohstoffverbrauchs verantwortlich", erläutert er. Aus hygienischen Gründen kommen im Medizinbetrieb viele Einwegprodukte zum Einsatz. Damit fallen enorme Mengen Sondermüll an. "Hier müssen wir umweltverträgliche Alternativen vorantreiben, mit denen gleichzeitig die Hygiene-Standards gewahrt werden können", sagt auch DGIM-Generalsekretär Ertl. "Denn auch wir Mediziner müssen uns bemühen, im Krankenhaus oder der Arztpraxis den ‚ökologischen Fußabdruck’ zu reduzieren." Die DGIM könne hier mit ihren 27.000 Mitgliedern einen deutlichen Beitrag leisten. Einwegmaterialien, Energieverbrauch, Gebäudedämmung, Kantinenessen, der Weg zur Arbeit, bis zur Wahl des Narkosegases sind Möglichkeiten, Kliniken und Praxen klimafreundlicher zu gestalten.
Wenn die Klimaziele in Deutschland erreicht würden, ließen sich pro Jahr rund 160.000 Todesfälle vermeiden, erklärt Isabel Auer, Public Health Expertin und Referentin bei Hirschhausens Stiftung "Gesunde Erde – Gesunde Menschen". Der größte Effekt käme durch die Ernährung, aber auch durch mehr Bewegung infolge einer klimafreundlicheren Mobilität zustande. Ärzt:innen als Vertrauenspersonen müssten diese Themen mit ihren Patient:innen besprechen – aber auch den eigenen CO2-Abdruck im Auge behalten.