Die Beschwerde richtet sich gegen Paragraf 5c Absatz 2 Satz 4 des Infektionsschutzgesetzes. Darin heißt es: "Bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten sind von der Zuteilungsentscheidung ausgenommen."
"Aus Diskussionen mit vielen Mitgliedern, vor allem solchen, die auf intensivmedizinischen Stationen und in Notaufnahmen arbeiten, wissen wir, dass die Gesetzesänderung zu Verunsicherungen auch im Hinblick auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen geführt hat. Es geht dabei im Wesentlichen um die Frage, ob die in Paragraf 5c aufgestellten Anforderungen an Triage-Entscheidungen wie zum Beispiel das Verbot der Ex-Post-Triage mit der grundrechtlich geschützten Therapiefreiheit kollidieren, die das Leben möglichst vieler intensivmedizinischer Patienten zu erreichen versucht", sagte die Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna.
Mit dem Ausschluss der Ex-Post-Triage habe der Gesetzgeber das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Kriterium der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlich bei begrenzten überlebenswichtigen Behandlungskapazitäten eingeschränkt. Dies könne dazu führen, dass Menschen mit höherer Überlebenswahrscheinlichkeit sterben, weil sie keine Ressourcen bekommen, die ein anderer Patient mit aktuell schlechteren Überlebenschancen Kapazitäten absorbiert.
Wenn in der Extremsituation wie einer ressourcensprengenden Pandemie aufgrund des Verbots der Ex-Post-Triage keine Intensivkapazitäten mehr frei gemacht werden könnten, würden Patienten mit vergleichsweise guter Prognose konsekutiv versterben. "Das widerspricht unserem ärztlichen Ethos und dem Grundrecht der Berufsfreiheit", argumentierte Johna. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 16 Dezember 2021; 1 BVR 1541/20) sei die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit das entscheidende Kriterium für die Zuteilung knapper Behandlungsressourcen. Dies müsse für alle Patienten gelten.
Bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens hatte die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) die jetzt vom Marburger Bund beklagte Vorschrift scharf kritisiert. "Diese "First-Come-first-serve"-Vergabe von Intensivressourcen lehnen wir ab", hatte Professor Uwe Janssens die Position der Intensivmediziner klar beschrieben.
Auch die Arbeitsgemeinschaft der Medizinisch-Wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF) hatte eindeutig Stellung bezogen: Aufgrund des Gleichheitsgebots müssten Patienten mit einem vergleichbaren intensivmedizinischen Behandlungsbedarf auch gleichberechtigten Zugang zu intensivmedizinischen Ressourcen haben. Ein früherer Behandlungsbeginn begründe keinen vorrangigen Anspruch auf eine intensivmedizinische Behandlung.