Medikamente gegen Covid-19: Wie wirksam ist das Bandwurmmittel Niclosamid?

Forschende des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) und der Universität Bonn identifizierten vier Wirkstoffe, die bei einer Covid-19-Infektion die Vermehrung des Virus hemmen. Eines davon ist das Bandwurmmittel Niclosamid.

Vier neue Wirkstoffe gegen Covid-19 entdeckt

Forschende des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und der Universität Bonn konnten vier Wirkstoffe identifizieren, die bei einer Covid-19-Infektion die Vermehrung des Virus in den Zellen hemmen: die körpereigenen Stoffe Spermin und Spermidin, das experimentelle Krebsmedikament MK-2206 und das Bandwurmmittel Niclosamid. Kann sich Niclosamid auch bei Menschen als wirksam gegen COVID-19 erweisen?

Viren nutzen für die Vermehrung die molekularen Bausteine der Wirtszelle. Um vom Immunsystem nicht entdeckt zu werden, manipulieren sie verschiedene Prozesse innerhalb der Wirtszelle – und jedes Virus verfolgt dabei eine unterschiedliche Strategie. Ein Team um Privatdozent Dr. Marcel Müller vom Institut für Virologie der Charité und Dr. Nils Gassen von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn hat jetzt untersucht, wie SARS-CoV-2 die Zelle zu seinen Gunsten umprogrammiert.

Coronavirus drosselt zelleigenen Recycling-Mechanismus

Das Coronavirus drosselt den zelleigenen Recycling-Mechanismus – die Autophagie. Dieser Prozess der "Selbstverdauung" dient dazu, molekulare Bausteine für neue Zellstrukturen zu produzieren, indem beschädigtes Zellmaterial und Abfallprodukte abgebaut werden. "Wir konnten in unserer Studie zeigen, dass SARS-CoV-2 zwar die Bausteine der Zellen für seine eigenen Zwecke nutzt, ihnen gleichzeitig aber auch Nahrungsreichtum vortäuscht und damit das zelluläre Recycling bremst", erklärt Erstautor Gassen. Dafür wurde der Stoffwechsel und die Verarbeitung molekularer Signale in SARS-CoV-2-infizierten Zellen und Lungengewebe von COVID-19-Patient:innen analysiert. "Vermutlich entgeht SARS-CoV-2 so seinem eigenen Abbau, denn auch Viren werden von der Zelle per Autophagie entsorgt", ergänzt Müller. "Dieselbe Umprogrammierungsstrategie verfolgt auch das MERS-Coronavirus, für das wir die Hemmung der Autophagie bereits vor über einem Jahr zeigen konnten. Es gibt jedoch auch Coronaviren, die die Autophagie anregen; das sind insbesondere solche, die Tiere befallen."

Vier Verbindungen kurbeln Zell-Recycling gegen Coronavirus an

Der Recycling-Mechanismus könnte ein möglicher Angriffspunkt für die COVID-19-Therapie sein. Die Forschenden prüften daher, ob Substanzen, die das Zell-Recycling ankurbeln, die Vermehrung von SARS-CoV-2 in Zellen bremsen können. Tatsächlich erwiesen sich vier Verbindungen als wirksam – und zwar solche, die bei Menschen bereits angewendet werden. Dazu zählte das Polyamin Spermidin, ein autophagie-förderndes Stoffwechselprodukt, das jede Zelle des Körpers selbst herstellen kann und auch von Bakterien im Darm produziert wird. Es kommt in Nahrungsmitteln wie Weizenkeimen, Soja, Pilzen oder reifem Käse vor und ist auch als Nahrungsergänzungsmittel frei erhältlich. Gaben die Wissenschaftler:innen Spermidin zu SARS-CoV-2-infizierten Zellen, produzierten die Zellen 85 Prozent weniger infektiöse Viruspartikel. Auch Spermin, ein mit Spermidin verwandtes körpereigenes Polyamin, reduzierte die Virusproduktion um mehr als 90 Prozent in menschlichen Lungenzellen und darm-ähnlichen Zellverbünden, den Organoiden.

Körpereigene Stoffe wie Spermidin rufen weniger Nebenwirkungen hervor

"Diese deutlichen Effekte von Spermidin und vor allem Spermin sind einerseits natürlich ermutigend, weil bei körpereigenen Stoffen erst einmal weniger Nebenwirkungen zu erwarten sind", sagt Müller. "Allerdings haben wir mit Reinsubstanzen gearbeitet, die in dieser Form nicht für eine medikamentöse Einnahme geeignet sind. Insbesondere Spermidin ist in der Zellkultur erst bei einer recht hohen Konzentration nennenswert wirksam. Bevor man die Polyamine für eine Behandlung von COVID-19 in Betracht ziehen kann, sind noch viele Fragen zu klären: Erreicht man im Organismus überhaupt eine Konzentration im Blut, die für eine Hemmung der Virusvermehrung in den Atemwegen ausreicht? Und wenn ja: Wäre eine Gabe vor oder während der Infektion sinnvoll? Gibt es Nebenwirkungen? Unsere Erkenntnisse aus der Zellkultur sind aber ein guter Ausgangspunkt für Studien am Tiermodell. Von einer Selbsteinnahme ist abzuraten – auch weil Viren Polyamine für ihre Vermehrung nutzen und es daher auf die richtige Dosierung ankommt. Dasselbe gilt für das Fasten, das die Autophagie im Körper anregen kann: Es ist nicht klar, ob COVID-19-Patienten vom Fasten profitieren würden, da der Körper ja während einer Infektion viel Energie für die Immunreaktion braucht.“

AKT-Hemmer MK-2206 reduziert Produktion infektiöser SARS-2-Coronaviren

Die dritte Substanz, die sich als wirksam gegen SARS-CoV-2 erwies, war MK-2206, ein sogenannter AKT-Hemmer. Der Wirkstoff wird derzeit in klinischen Studien auf seine Verträglichkeit und Wirksamkeit gegen verschiedene Krebsarten hin untersucht. In der aktuellen Arbeit reduzierte MK-2206 die Produktion von infektiösen SARS-2-Coronaviren um rund 90 Prozent – und zwar in Konzentrationen, die in einer früheren Studie im Blutplasma der Teilnehmer:innen bereits erreicht wurde. "Auf Basis unserer Daten halte ich MK-2206 für einen interessanten Wirkstoffkandidaten gegen COVID-19, der nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Analyse auch klinische Studien rechtfertigen würde", erklärt Müller.

Die Verbindung mit dem größten antiviralen Effekt war das Bandwurmmittel Niclosamid, das sich in einer früheren Studie des Forschungsteams bereits als wirksam gegen das MERS-Coronavirus gezeigt hatte: Es senkte die Produktion infektiöser SARS-CoV-2-Partikel um mehr als 99 Prozent. "Niclosamid hat in unseren Zellkultur-Untersuchungen den stärksten Effekt gezeigt und ist außerdem ein seit Jahren für Bandwurm-Infektionen zugelassenes Medikament, das bei potenziell wirksamen Dosierungen gut verträglich ist", sagt Privatdozent Dr. Müller. "Wir halten es für den vielversprechendsten der vier neuen Wirkstoffkandidaten. Deshalb prüfen wir an der Charité jetzt im Rahmen einer klinischen Studie, ob Niclosamid auch bei COVID-19-Betroffenen positive Effekte erzielen kann. Über diese Entwicklung freue ich mich sehr, denn sie zeigt, wie schnell Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung Patientinnen und Patienten erreichen können, wenn Forschung und Krankenversorgung eng verzahnt sind und effizient zusammenarbeiten."

Presse:
Nils C. Gassen et al.:
SARS-CoV-2-mediated dysregulation of metabolism and autophagy uncovers host-targeting antivirals, Nature Communications.