Viele Menschen gehen davon aus, dass sie nach zwei Bier oder zwei Gläsern Wein noch fahrtüchtig sind. «Weit gefehlt», sagt Gernot Rücker, Notfallmediziner an der Universitätsmedizin Rostock. Ein Blick in seine Gramm-Tabelle zeigt, dass zwei Flaschen Bier à 0,5 Liter bei einem 100-Kilo-Mann zu mehr als 0,5 Promille führen. Zwei Gläser Rotwein mit zwölf Volumenprozent bringen eine Frau von 60 Kilogramm Körpergewicht auf einen Wert von rund einem Promille. Ein Promille Blutalkoholkonzentration (BAK) bedeutet, dass ein Liter Blut einen Milliliter reinen Alkohol enthält.
Der bei alkoholischen Getränken übliche Wert in Volumenprozent gibt an, wie viel Prozent des Gesamtvolumens auf reinen Alkohol (Ethanol) entfallen. Zur Berechnung des Blutalkoholspiegels wird die Alkoholmenge in Gramm benötigt – inzwischen gibt es dafür im Internet zahlreiche Promille-Rechner.
Mit einer direkten Angabe der Alkoholmenge in Gramm wäre eine solche Rechnung hingegen ganz einfach, sagt Rücker. Er fordert darum, dass Alkoholmengen pro Flasche künftig so angegeben werden. Die dazugehörigen Tabellenwerte seien leicht einzuprägen und blieben konstant. Im Blick hat er besonders die Jugendlichen, vor allem sie müssten wissen, was sie sich antun. “Und das geht mit Gramm-Angabe und dem Wissen um die Tabellenwerte. In der Kneipe sitzen und einen Dreisatz mit einer Unbekannten ausrechnen, ist doch unlogisch.”
“Jedes Jahr sterben rund 70 000 Menschen an den Folgen des Alkoholkonsums, 5000 an akuter Alkoholvergiftung. Und fast ein Drittel aller Straftaten und der Großteil der Vergewaltigungen geschehen unter Alkoholeinfluss”, erklärt Rücker. 2015 entzogen deutsche Gerichte demnach knapp 50 000 Führerscheine nach Promillefahrten.
“Ich habe viel Sympathie für alles, was dem Verbraucher einen maßvollen Umgang mit Alkohol leichter macht”, sagt die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, zu Rückers Forderung. Angesichts der Zahl von fast zehn Millionen Menschen, die mehr Alkohol trinken als ihrer Gesundheit guttäte, zeigt sie sich eher skeptisch. Ob die Kennzeichnung wirklich einen Mehrwert bringe, hänge von weiteren Zusatzinformationen auf der Verpackung zur Berechnung abhängig von Geschlecht und Körpergewicht ab.
Der Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie verweist auf die Angaben, die die Hersteller auf die Etiketten drucken müssen. Alle anderen für den Endverbraucher interessanten Informationen seien auf der Webseite “massvoll-geniessen.de” zu finden. “Wir gehen davon aus, dass sich die Konsumenten auch Off-Label umfassend informieren”, betont Geschäftsführerin Angelika Wiesgen-Pick.
Rücker zweifelt daran. Jeder Deutsche trinkt nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Mittel knapp zehn Liter Alkohol jährlich – in gängige Alkoholika wie Bier oder Wein übersetzt etwa eine Badewanne voll. Die Menschen hätten verlernt, das Genussmittel vom Rauschmittel zu unterscheiden, so der Mediziner. “Wir haben kein Maß mehr.”