Meist sterben Krebspatienten nicht an ihrem ursprünglichen Tumor in einem bestimmten Organ. Zur tödlichen Bedrohung erwächst der Tumor erst, wenn einzelne Tumorzellen sich aus dem Ersttumor lösen, durch den Körper wandern und sich beispielsweise in Leber, Lungen, Knochen oder Gehirn ansiedeln und das dortige Gewebe durch die Bildung von Metastasen zerstören. Bei einem Metastasierungsprozess verwandeln sich manche Zellen des Ersttumors in ganz bestimmter Weise.
Um langfristig Therapien gegen die Metastasierung zu entwickeln, muss die Medizin verstehen, wie der verhängnisvolle Prozess genau vonstattengeht. Noch aber gibt es einige Rätsel zu lösen. Zum Beispiel ist nicht vollständig geklärt, wie die Beschaffenheit und der Typ von Krebszellen die Streuung in den Körper beeinflusst. Die bösartigen Zellen der meisten Ersttumoren sind "epithelialen Ursprungs": Sie vermehren sich stark, und sie bilden Kontakt mit ihren Nachbarn, um im Verband zu wachsen.
Können diese epithelialen Tumorzellen in andere Gewebe des Körpers eindringen? Oder müssen sie erst die sogenannte epitheliale-mesenchymale Transition (EMT) durchmachen? Mesenchymale Zellen brechen ihre Zell-zu-Zell-Kontakte auf und lösen sich eher aus einem Verband. Dann verschaffen sie sich Zugang zu einem Gefäß und wandern durch das Blut, verlassen den Kreislauf wieder und besiedeln ein anderes Gewebe im Körper.
Die Münchner ForscherInnen haben zunächst Brustkrebszellen bestimmter Mäuse in tumorfreie Mäuse verpflanzt. Sie haben die entstehenden Tumoren analysiert und aus Blut und Knochenmark wieder potenzielle Krebszellen isoliert. "Dabei", so Olivier Gires, "haben wir gezeigt, dass diese Zellen aus Blut und Knochenmark wirklich aus dem Ersttumor stammen."
Doch diese streuenden Tumorzellen variierten in ihrem Typ sehr stark: Einige blieben mehr epithelial und bildeten entsprechend viele Kontakte zu anderen Zellen aus und vermehrten sich. Aber sie hatten auch klassische Eigenschaften mesenchymaler Zellen in geringem Umfang gewonnen. Andere der isolierten Tumorzellen hatten hingegen eine starke oder komplette EMT durchgemacht. Letztere waren kaum in der Lage, Metastasen in der Lunge zu bilden und wenn, dann nur sehr spät. Anders als die mehr-epithelial leicht mesenchymalen Zellen. "Diese epithelialen Tumorzellen mit einem leicht mesenchymalen Drift besiedelten die Lungen sehr stark", sagte Gires.
In Kooperation mit der Universität Shanghai haben die Münchner ForscherInnen die Ergebnisse für Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs bestätigt. "Wir konnten zeigen, dass die Expression des epithelialen Oberflächenproteins EpCAM auf Tumorzellen im Blut und im Knochenmark der Patientinnen ein Maß für eine geringe EMT und für die Metastasenbildung und das Überleben darstellt“, so Gires weiter.
Der direkte Benefit für die Patienten ist noch begrenzt, da es sich um Grundlagenforschung handelt. Eine potenzielle Anwendung in der Zukunft könnte laut Gires sein: "Wenn man aus dem Blut von Brustkrebspatientinnen EpCAM-positive Zellen isoliert und die molekularen Eigenschaften dieser Zellen untersucht, also zum Beispiel die Expression des therapeutisch relevanten Oberflächenmolekül HER2, kann man nach den Erkenntnissen unserer Studie zumindest davon ausgehen, dass man mit der angestrebten Therapie höchstwahrscheinlich auch die metastatischen Zellen trifft." Um dies zum Nutzen der Patientinnen einsetzen zu können sind jedoch klinische Studien notwendig, die die beschriebenen Optionen stützen.