Mit jährlich weltweit sechs Millionen Eingriffen zählen Gefäßkatheter-Interventionen zur medizinischen Routine. Um den Katheter gezielt durch die Gefäße zu navigieren, werden die Patienten während des Eingriffs mit Röntgenstrahlung durchleuchtet. Der Nachteil: "Patienten und Ärzte sind dabei einer nicht zu vernachlässigenden Strahlendosis ausgesetzt", sagt Dr. Torben Pätz, Mathematiker am Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS in Bremen. "Außerdem zeigen die Röntgenbilder kein 3D-Bild, sondern nur eine 2D-Projektion, wodurch sich der Katheter nicht immer genau lokalisieren lässt." Um Abhilfe zu schaffen, entwickelt Fraunhofer MEVIS ein System namens IntelliCath (Intelligent Catheter Navigation).
Das Prinzip der neuen Methode: Der Katheter wird mit einer speziellen Glasfaser ausgerüstet, bestückt mit winzigen "Spiegeln". Wird Laserlicht durch diese Faser geschickt, reflektieren die Spiegel einen Teil des Lichts. Das Entscheidende: Sobald die Glasfaser gebogen wird, verändert sich die Farbe des reflektierten Lichts, was durch Sensoren erfasst werden kann. "Aus dem Signal dieser Sensoren lässt sich auf Stärke und Richtung der Biegung schließen", erläutert Pätz. "Die Faser weiß gewissermaßen, wie sie geformt ist."
Vor dem Eingriff erfolgt ein CT- oder MR-Scan der PatientInnen. Ausgehend von den Bilddaten rekonstruiert eine Software ein 3D-Modell des Gefäßsystems und stellt es auf einem Monitor dar. In dieses Modell sollen während der Katheter-Intervention die Live-Daten aus der Glasfasernavigation eingespeist werden. Als Ergebnis würde der Arzt auf dem Bildschirm beobachten können, wie sich der Katheter durch das Gefäßlabyrinth bewegt – in Echtzeit und 3D.
Die Machbarkeit des Verfahrens konnten die MEVIS-Fachleute bereits an einem Prototyp nachweisen. "Wir haben mehrere Silikonschläuche zu einem gewundenen Labyrinth zusammengesteckt", erzählt Torben Pätz. "In dieses Labyrinth haben wir unsere Glasfaser-Katheter eingeführt." Auf dem Bildschirm ließ sich dann in Echtzeit lokalisieren, wo sich der Katheter gerade befand – und zwar bis auf fünf Millimeter genau. Die Forscher haben hierzu bereits zwei Patente eingereicht.
Mehrere Medizintechnik-Unternehmen sind ebenfalls an der Sache dran, aber: "Oftmals versuchen diese mit einem hohen technischen Aufwand, die gesamte Form des bis zu zwei Meter langen Katheters zu rekonstruieren", so Pätz. "Unser Algorithmus hingegen kommt bereits mit einem Bruchteil der Daten aus, um den Katheter in dem ja bereits bekannten Gefäßsystem zu lokalisieren." Daher biete IntelliCath laut Aussage von MEVIS eine preiswertere Technik ohne teure Spezialfasern und Auswertesysteme und eine höhere Robustheit gegenüber Fehlerquellen als die bisherigen Verfahren.
Als nächstes werden die Fachleute ihr IntelliCath-System an einem Ganzkörper-Phantom des menschlichen Gefäßsystems testen, sowie an einer Schweinelunge erproben. 2020, gegen Ende der derzeitigen Projektphase, wird ein Prototyp fertig sein, der die Grundlage für eine klinische Studie bildet.
Zusätzlich entwickeln Pätz und sein Team eine akustische Rückmeldung, damit der Arzt während des Eingriffs nicht ständig auf den Bildschirm schauen muss. Die Idee: Verschiedenartige Hinweistöne signalisieren, wohin der Katheter bei der nächsten Gefäßabzweigung navigiert werden muss und wie weit diese entfernt ist. "Das ist ähnlich wie die Einparkhilfe beim Auto", erläutert Pätz. "Da erhält man ebenfalls einen akustischen Hinweis, wie weit das nächste Hindernis entfernt ist."