Diagnostik und Therapie von Krebs, der sich in immer differenziertere Einzelerkrankungen mit ganz spezifischen Merkmalen aufspalten lässt, befinden sich derzeit ganz grundlegend im Wandel. Immer wichtiger wird hierfür die Molekulardiagnostik als Teil einer zunehmend personalisierten Medizin. Am Dienstag stellte die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie e.V. (DGHO) gemeinsam mit der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) und der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP) auf einer Pressekonferenz in Berlin ein Positionspapier vor, das den Einsatz molekulardiagnostischer Maßnahmen in der Versorgung von Krebspatientinnen und -patienten und seine Ziele definiert.
Über die Indikationsfelder der Molekulardiagnostik sprach Prof. Dr. med. Olaf Ortmann, Präsident der DKG, und bezog sich dabei besonders auf die Möglichkeiten einer individuellen Risikoabschätzung und den prädiktiven Wert. Die Indikation für molekulardiagnostische Verfahren soll demnach zielgerichtet sein, das heißt, sie soll Maßnahmen der Prävention, zum Screening, zur Diagnosesicherung und/oder Therapie begründen. Weiterhin soll das Ergebnis Einfluss auf das weitere Vorgehen haben. So kann beispielsweise der prädikative Wert einer Genexpressionsanalyse bei Patientinnen mit HR-positivem, nodal negativem Mammakarzinom eine Entscheidung für oder gegen eine Empfehlung zur adjuvanten Chemotherapie begründen.
Auch Prof. Dr. med. Carsten Bokemeyer, Vorsitzender der DGHO, betonte, dass die Aufnahme der Molekulardiagnose in den Diagnose-Algorithmus die individuelle Bestimmung des für den Patienten oder die Patientin bestmöglichen Therapiekonzeptes ermögliche. Hier gehe derzeit eine Veränderung der Therapie-Algorithmen von statten, deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen sei, die aber als Ausgangslage für zukünftige Klassifikationen von Erkrankungen und Therapieempfehlungen betrachtet werden müsse. Der Fokus liege hier besonders auch auf Bereitstellung und Austausch von individuell gewonnenem Wissen zwischen Diagnostikern und Therapeuten, wobei Aktualität ein entscheidender Faktor in einer sich derart rasant verändernden Wissenslandschaft sei. Eine Therapieempfehlung solle daher erst nach ausführlicher interdisziplinärer Diskussion im Tumorboard erfolgen.
Im Zusammenhang mit den sich extrem schnell entwickelnden molekulargenetischen Untersuchungstechniken wies Prof. Dr. med. Wilko Weichert, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP) auf die bei regelmäßig durchgeführten, spezifischen molekulardiagnostischen Analysen technische Expertise und die Notwendigkeit externer Validierung der Analysequalität hin. Das Positionspapier zielt hier auf Maßnahmen der Qualitätssicherung wie zum Beispiel Ringversuche und Akkreditierung sowie auf die Kontextualisierung von Analysedaten. Weichert betont: "Molekulare Diagnostik an sich hat keinen Eigenwert". Wichtig sei hier der Aufbau und die Verstetigung kooperativer Strukturen, um langfristig die Kriterien der Qualitätssicherung gewährleisten zu können, so Weichert.
Ein aktuell kontrovers diskutiertes Thema sind in diesem Zusammenhang die Dienste externer kommerzieller Anbieter, die, wie Prof. Dr. med. Diana Lüftner, Mitglied im Vorstand der DGHO, zu berichten wusste, "teilweise hochaggressiv" für ihr Angebot werben und sich dabei vor allem an junge Mediziner wenden, um ihr monetäres Interesse zu verfolgen. Weichert wies hier auf die im Positionspapier genannten Arbeitsabläufe hin, die auch für kommerziell orientierte Anbieter zur Voraussetzung gemacht würden, bis hin zur Teilnahme an Qualitätssicherungsmaßnahmen. Hiermit verbunden ist besonders auch die Forderung nach Datenschutz und die Bereitstellung anonymisierter oder pseudonymisierter Daten für die Grundlagen- und Versorgungsforschung.
Prof. Dr. med. Bernhard Wörtmann, Medizinischer Leiter der DGHO, beschrieb die zur Erreichung der im Positionspapier genannten Ziele weiteren notwendigen Maßnahmen auf gesundheitspolitischer Ebene. Hier verdeutlichte er die langfristig notwendige flächendeckende Versorgung, damit kein Stadt-Land-Gefälle entstehe und Patientinnen und Patienten in den ländlichen Gebieten den gleichen Zugang zu molekulardiagnostisch gestützter Therapie erhielten wie in den großen Ballungszentren und Städten. Hier müsse neben der Finanzierung, Kostenerstattung und Qualitätssicherung vor allem auch die kontinuierliche ärztliche Fortbildung gewährleistet werden – besonders hinsichtlich einer umfassenden Patienteninformation. Generell dürften Patientinnen und Patienten nicht mit hochkomplexen Diagnosedaten allein gelassen werden, sondern müssten eine umfassende Beratung zur Bestimmung einer individuell optimalen Therapie erhalten.