Den größten Teil ihres Lebens hat eine Frau bei Schwerin unter einem offenen Bein gelitten. Nach mehr als 50 Jahren wurde ihr geholfen. Ihr eigenes Fettgewebe hat nach einer neuen Behandlungsmethode die Wunde endlich verschlossen. Fachgesellschaften warnen trotzdem vor zu großen Hoffnungen. Erst müssten Studienergebnisse abgewartet werden.
51 Jahre lang hat Inge Bentzien mit einem offenen Bein gelebt. Seit einigen Wochen braucht die 83-Jährige keine Verbände mehr. Sie kann ihr Glück noch gar nicht fassen. Geholfen hat der Frau aus dem Landkreis Ludwigslust-Parchim eine Eigenfett- Transplantation an der Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie in den Schweriner Helios-Kliniken. Dort setzt Chefarzt Roland Mett auf eine neue Methode – die Heilung chronischer Wunden etwa an Unterschenkeln und Füßen durch Stammzellen und Wachstumsfaktoren aus dem eigenen Fettgewebe. Wie Mett berichtet, geht die Methode auf die klinischen Erfahrungen des Plastischen Chirurgen Tilmann Stasch in Aachen zurück, der bereits 40 Patienten nahezu vollständig heilte.
Chronische Wunden gehören nach Metts Worten zu den Hauptproblemen älterer Patienten mit Gefäß- und Stoffwechselerkrankungen. Viele laborieren wie Inge Bentzien jahrelang mit Salben und Verbänden. Heilt die Wunde nicht, entfernen Chirurgen das geschädigte Gewebe, decken die Wunde luftdicht ab und verschließen sie mit einem körpereigenen Hauttransplantat, sobald sich auf ihr ein Ersatzgewebe bildet. Hilft dies an stark beanspruchten Regionen wie den Füßen nicht, müssen aufwendigere plastische Verfahren heran, um die Wunde zu verschließen. Ist auch dies Methode ausgereizt, kann die Transplantation von Eigenfett helfen.
Die Deutsche Gesellschaft für Phlebologie, die sich mit Gefäßerkrankungen befasst, warnt unterdessen davor, bei Patienten schon zu große Hoffnungen zu wecken. “Es handelt sich hierbei um ein neues Verfahren, zu dem die erforderlichen Studien erst geplant sind”, sagte Präsident Markus Stücker. “Hierzu sollten erst Studiendaten abgewartet werden.”
Auch die Krankenkassen sind noch zurückhaltend und bezahlen die neue Behandlungsmethode noch nicht. Die Kostenübernahme sei erst möglich, wenn die Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode durch Studien belegt sind, wie der Sprecher der AOK Nordost, Markus Juhls, sagte. Bisher sei die Behandlung erst an wenigen Patienten erprobt.
Fettgewebe enthält im Vergleich zum Knochenmark die 500-fache Zahl an Stammzellen. Diese Zellen sind zunächst nicht differenziert und entwickeln sich erst an Ort und Stelle zu genau den Zellen, die sie werden sollen, wie Chefarzt Mett erläutert. Während Stammzellen aus Knochenmark aufwendig durch Punktion gewonnen werden, wird Fettgewebe relativ einfach abgesaugt.
“Dem Patienten wird Fett entnommen, wo es am üppigsten ist, denn dort sind die Fettzellen am vitalsten”, sagt Mett. Das Absaugen von Unterhautfettgewebe erfolgt mit einem feinen Wasserstrahl, der in den 1990-er Jahren in Schwerin als Schneidinstrument in der Firma Human Med entwickelt wurde, berichtet der Chefarzt, der 1959 in Schwerin geboren wurde nach zwei Facharztausbildungen seit 2009 die Schweriner Klinik für Plastische Chirurgie leitet. Die Fettzellen werden dem Patienten in einem Arbeitsgang unter Leitungsanästhesie oder örtlicher Betäubung entnommen und an der benötigten Stelle wieder eingesetzt, erklärt er. Dadurch entfällt das gerade für ältere Patienten oftmals große Risiko einer Allgemeinnarkose.
Die Wunde, die an Inge Benztiens rechtem Fuß entstand, als sie 32 Jahre alt war, maß etwa vier Quadratzentimeter. Jahrelang konnte sie nicht ohne Verband gehen, konnte kaum feste Schuhe tragen. Dabei hatte sie körperliche Arbeit in einer Schulküche und später als Reinigungskraft zu leisten. Schon wenige Wochen nach der Operation trug sie Schuhe, ohne Schmerzen zu haben, erzählt sie.
Mett zufolge erlebt die Eigenfett-Transplantation derzeit ihre bundesweite Einführung in den klinischen Alltag außer in Schwerin auch in Aachen und Hannover-Hameln. Die drei Häuser bereiten eine gemeinsame Studie vor, in die in den kommenden zwei Jahren die Erfahrungen mit insgesamt 150 Patienten einfließen sollen. Bislang hat Mett bei fünf Patienten Eigenfett transplantiert. “Alle sind in Heilung, es gibt noch keinen Rückschlag”, sagt er.
Text: dpa /fw