Kinasen sind Enzyme, die andere Proteine verändern können. Sie spielen unter anderem bei der Entstehung von Krebs eine wichtige Rolle, da ihre Aktivität in Krebszellen sehr häufig stark erhöht sind. Erste Medikamente, die diese Veränderungen korrigieren, gehören heute zu den wirkungsvollsten Therapien, die es gibt.
In einer aktuellen Publikation berichtet Prof. Dr. Ulrich Stelzl, Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Karl-Franzens-Universität Graz, und sein Team, wie die Kinasen vorgehen: Sie nutzen Protein-Netzwerke bei der Auswahl jener Stellen in der Zelle (Substrate), an denen sie Modifizierungen vornehmen können. "Ein besseres Verständnis, was die Kinasen in der Zelle genau tun, wird zu noch effektiveren Behandlungsmöglichkeiten führen", so Stelzl. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Cell Systems veröffentlicht.
Pro menschlicher Zelle gibt es rund 500 Kinasen. Ihnen stehen an die 300.000 Substrate zur Auswahl, jedoch sprechen nicht immer alle auf die Veränderungsversuche an. Dennoch sind die Modifizierungen sehr koordiniert und bestimmen die Eigenschaften der Zellen. "Wir wissen, dass Kinasen an bestimmte Proteine ein Phosphat anhängen und so deren Wirkungsweise verändern", erklärt Stelzl. "Allerdings ist es genauso wichtig zu verstehen, wie und wann die Enzyme ihre vielen Substrate selektieren." Dieses Auswahlverfahren ist nur schwer live zu beobachten, weil in der Zelle sehr viele verschiedene Prozesse gleichzeitig passieren und es außerdem nicht direkt messbar ist, welche Kinase gerade was macht.
Stelzl vergleicht die Abläufe mit einem "Wahlkampf": "Ein Kandidat – das wäre die Kinase – ist auf der Suche nach potenziellen Wählern, den Substraten. Er besucht viele Veranstaltungen, verteilt seine Informationen über Flyer und versucht, beim Publikum anzudocken. Manche Angesprochenen werfen den Zettel weg, andere nehmen ihn mit – der Kandidat weiß aber nie mit Sicherheit, wer ihm letztlich wirklich seine Stimme geben wird, auch, weil die anderen Kandidaten das Gleiche versuchen. Eindeutige Prognosen des Wahlausgangs sind deshalb nur schwer anzustellen und oft steht man am Ende vor einem anderen Resultat als vorausgesagt war."
Um dennoch herauszufinden, wie Kinasen ihre Substrate aufspüren, haben die Forscher einen Trick angewandt. Sie transferierten menschliche Kinasen in Hefezellen, also in ein künstliches Umfeld, in dem sie genau beobachten konnten, wie sich die Enzyme verhalten. "Wir haben unseren Kandidaten sozusagen in ein konkurrenzfreies Umfeld verfrachtet, in dem es nur eine Wahlmöglichkeit gibt. So konnten wir jede Modifikation, die auf den Hefeproteinen passiert, eindeutig auf eine bestimmte Kinasen zurückführen", schildert Stelzl. So wurde ersichtlich, dass die Enzyme die Protein-Interaktions-Netzwerke nutzen, um zu bestimmen, wo sie Veränderungen hervorrufen. "Wenn das Netzwerk als Multiplikator verwendet wird, muss das einzelne Substrat gar nicht notwendigerweise erkannt werden", schildert der Wissenschaftler. Die Erkenntnis, dass Protein-Netzwerke – die auch in dem Labor der Arbeitsgruppe erstellt werden – sich für die Prognose der Kinase-Substrat-Beziehungen sehr gut eignen, lässt sich für die Entwicklung von besseren medikamentösen Krebstherapien nutzen.