In Hamburg wurde ein neues Childhood-Haus eröffnet. In dem Kompetenzzentrum für Kinder und Jugendliche wird künftig Opfern oder Zeugen von Misshandlungen, sexualisierter Gewalt oder Vernachlässigung geholfen.
In Hamburg ist am Montag das neue Childhood-Haus am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) eröffnet worden. In dem Kompetenzzentrum für Kinderschutz sollen künftig Kinder und Jugendliche, die Opfer oder Zeugen von Misshandlungen, sexualisierter Gewalt oder Vernachlässigung geworden sind, in kindgerechter Umgebung unter einem Dach untersucht, beraten und befragt werden.
"Wir haben die Räume bewusst sehr großzügig gehalten, damit die Kinder sich wohlfühlen und erstmal spielen können", sagte Benjamin Ondruschka, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). "Das Kind steht nun im Mittelpunkt mit all seinen Interessen, und dem haben die verschiedenen Abteilungen zu dienen", sagte Familiensenatorin Melanie Leonhard (SPD). Die Gespräche mit den Familien, die Befragungen der Kinder und die Aufarbeitung der Geschehen wurden bislang an verschiedenen Orten durchgeführt.
Jetzt können alle Untersuchungen und Befragungen an einem Ort stattfinden - kein Kind muss mehr in ein Krankenhaus, auf eine Polizeiwache oder in einen Gerichtssaal. Nachdem die Ärzte im Spiel- und Warteraum die Kinder kennengelernt haben, geht es zunächst zur medizinischen Untersuchung. Hier gibt es einen Raum für ältere Kinder und einen Raum für Kinder bis zum Grundschulalter - mit lustigen Unterwasserbildern an den Wänden und vielen Stofftieren, darunter ein Pinguin. Mit einem Videokolposkop - eine Art riesige Lupe - können die Ärzte die Kinder untersuchen und eventuell Beweismittel sichern.
In einem anderen Raum können die Kinder von Psychologen befragt werden. Drei Kameras, die nur schwer zu entdecken sind, nehmen die Gespräche auf. "So bleibt es den Kindern erspart, ihre Geschichte immer wieder und wieder erzählen zu müssen", sagte Astrid Helling-Bakki, Geschäftsführerin der World Childhood Foundation Deutschland. Es gibt sogar einen Monitor, der mit den Gerichtssälen verbunden ist. Wenn nötig, können die Kinder so per Videoschalte von einem Richter als Zeugen befragt werden - ohne dass sie selbst vor Gericht erscheinen müssen und dort vielleicht dem Menschen begegnen, der ihnen das angetan hat.
In einem anderen Raum können Psychologen mit den Kindern sprechen und entscheiden, ob eventuell eine langfristige Therapie sinnvoll wäre. "Die Gewalt an Kindern und Jugendlichen hat im Coronajahr 2020 nochmals zugenommen", sagte Justizsenatorin Anna Galina. Allein in Hamburg wurden 850 Untersuchungen von Kindern im Säuglingsalter bis zum 18. Lebensjahr durchgeführt, bei denen der Verdacht einer Gewalterfahrung bestand - die Dunkelziffer ist noch viel höher.
Das Childhood-Haus ist ein gemeinsames Projekt des UKE, des Hamburger Senats und der World Childhood Foundation der schwedischen Königin Silvia. Es ist die sechste solcher Einrichtungen in Deutschland, im kommenden Jahr sollen Häuser in Flensburg und Schwerin folgen.
Sexueller Missbrauch von Kindern und Heranwachsenden ist noch immer ein gesellschaftliches Tabuthema. Laut WHO sind weltweit 250 Millionen Kinder und Heranwachsende im Alter bis 17 Jahren betroffen, wie auf dem World Health Summit 2021 in Berlin berichtet wurde. Welche Folgen dies für die Betroffenen hat, lesen Sie im Bericht Die stille Pandemie: Sexuelle Traumatisierung im esanum-Themenspecial Psychisch krank mit spannenden Beiträgen zu psychischen Erkrankungen.