Ein Generationswechsel bei den Gynäkologen erschwert Frauen die Suche nach Ärzten, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen. Der Verband pro familia sieht das Sozialministerium in der Pflicht, Abhilfe zu schaffen.
Für Frauen im Südwesten wird es nach Angaben der Beratungsorganisation pro familia immer schwieriger, Schwangerschaftsabbrüche vornehmen zu lassen. "Im Vergleich zur Situation vor zehn Jahren gibt es deutlich weniger Möglichkeiten und die Lage wird sich verschärfen, weil viele ältere Ärzte in den Ruhestand gehen", sagt Gudrun Christ, Geschäftsführerin des Stuttgarter Landesverbandes, der Deutschen Presse-Agentur. Nach grober Schätzung gebe es 70 Ärzte und Operationszentren im Land, die Abbrüche vornehmen. Darüber hinaus seien einige wenige Mediziner nur bei eigenen Patientinnen zu dem Eingriff bereit.
Die AOK Baden-Württemberg hat für 2017 rund 500 Ärzte und eine zweistellige Zahl von Kliniken ermittelt, die Abtreibungen bei Patientinnen aus Baden-Württemberg abgerechnet haben. "Das liegt weit über allem, was wir wissen", sagt Christ. Laut AOK sind in der Erhebung allerdings auch Ärzte eingeschlossen, die in einem anderen Bundesland Frauen aus dem Südwesten behandelten oder nur die Nachversorgung übernahmen. Das Sozialministerium hatte mit den Zahlen der Krankenkasse operiert.
Auch die Sozialpolitikerin der SPD im Landtag, Sabine Wölfle, hält diese Zahlen für unrealistisch. Wenn sich Frauen in Not für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, müsse ihnen der Zugang zu kompetenten Ärzten ohne große Wartezeiten verschafft werden, sagte sie. Wölfle bringt das Thema an diesem Donnerstag in den Sozialausschuss des Landtags ein.
Das Sozialministerium hat nach eigenen Angaben auf Engpässe stets reagiert und mit der Kassenärztlichen Vereinigung und/oder Krankenhäusern Lösungen gefunden. Minister Mann Lucha (Grüne) will aber eine eigene Befragung dazu starten. Betroffenen Frauen in dieser schwierigen Situation müsse geholfen werden, sagte er.
Aus Sicht von pro familia führt der Mangel zu weißen Flecken in der Versorgung, etwa im Hohenlohischen und im Rems-Murr-Kreis. Auch in der Landeshauptstadt Stuttgart sei die Versorgung nicht mehr optimal. In Südbaden werde ein OP-Zentrum voraussichtlich in Kürze schließen. Einzig in Mannheim sei die Versorgung richtig gut. Die Entwicklung fordere den Frauen immer längere Wege ab. Nur neun kommunale Kliniken halten nach Christs Worten ein entsprechendes Angebot vor.
Rund 9.500 Schwangerschaftsabbrüche von Frauen mit Wohnsitz in Baden-Württemberg wurden im Jahr 2017 gemeldet. Das sind laut Statistischem Landesamt 1,6 Prozent weniger als 2016; bei Minderjährigen hat sich die Zahl um elf Prozent auf 243 reduziert.
Die schwindende Bereitschaft der Ärzte, Abtreibungen durchzuführen, hat nach Beobachtung von pro familia mehrere Gründe. So fänden viele Mediziner keinen Nachfolger, der das Angebot aufrechterhält. Zudem erfordere der operative Abbruch steigenden Aufwand und könne so nicht mehr kostendeckend durchgeführt werden. Der medikamentöse Abbruch koste zwar nicht mehr. Aber während der zwei Tage, über den er sich hinziehe, muss der Arzt für die Patientin stets erreichbar bleiben. Das schrecke viele Mediziner ab.
Hinzu kommt das Risiko öffentlicher Brandmarkung durch Abtreibungsgegner. So sei eine Praxis in Pforzheim dieses Jahr bereits zwei Mal 40 Tage lang von Fundamentalisten belagert worden.