Geschulte ÄrztInnen können durch Gespräche und kognitive Tests mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent bestimmen, welche PatientInnen eine Psychose erleiden werden. Eine aktuelle Studie deckt auf, dass durch künstliche Intelligenz die Erkennungsrate noch gesteigert werden kann.
ForscherInnen der Universitäten Emory und Harvard nutzten ein maschinelles Lernverfahren, um die Sprache von Jugendlichen zu analysieren, bei denen das Risiko einer Psychose bestand. Dabei stellte das Forschungsteam fest, dass die Maschine in 93 Prozent der Fälle erkennen konnte, welche der TeilnehmerInnen erkranken würden.
Studienautor Phillip Wolff erläutert, dass die Präsenz unterschwelliger Anzeichen einer zukünftigen Psychose in der Sprache bereits durch frühere Forschungen belegt wurden. Er merkt an: "Wir nutzten maschinelle Lernverfahren und deckten dabei versteckte Details über diese Anzeichen auf."
Das Forschungsteam stellte die Maschine darauf ein, zwei sprachliche Variablen zu messen: Die semantische Dichte und den Gebrauch von Wörtern in Verbindung mit ihrem Klang. Dabei kamen sie zu dem Schluss, der Weg zur Psychose werde durch eine geringe semantische Dichte - vom Team auch als "Mangel an Inhalt" oder Ungenauigkeit bezeichnet - und Gespräche über Stimmen und Geräusche signalisiert.
Die AutorInnen merken an: "Diese Arbeit ist ein Beweis, dass Anzeichen der zukünftigen mentalen Gesundheit durch Rechenmethoden aus der Sprache von Menschen abgeleitet werden können."
Durch maschinelles Lernen könnten Rechner im Gebrauch von Sprache Muster bei PatientInnen mit Psychose-Risiken erkennen, die selbst spezialisierten ÄrztInnen entgangen sein können.
Neguine Rezaii, Mitautorin der Studie, erläutert: "Zu versuchen, diese Subtilitäten im Gespräch zu hören, käme dem Versuch gleich, mikroskopische Bakterien mit dem bloßen Auge sehen zu wollen." Doch durch die Einbindung künstlicher Intelligenz sei es möglich, versteckte Sprachmuster aufzudecken. "Es ist wie ein Mikroskop, dass die Warnzeichen einer Psychose erkennen kann."
Bei 25 bis 30 Prozent aller Jugendlicher, die Anzeichen einer Psychose aufzeigen, treten Krankheitsbilder wie eine Schizophrenie auf. Spezialisierte ÄrztInnen können in 80 Prozent der Fälle bestimmen, wer eine solche Krankheit erleiden wird. Dabei liegt eine Vielzahl von Versuchen vor, die Erkennungsrate zu erhöhen und die Diagnostik genauer zu machen.
Das Team von Professor Wolff leitete die Studie ein, indem die Maschine die sprachlichen Normen alltäglicher Unterhaltungen erlernen sollte. Dafür nutzten die ForscherInnen Gespräche von 30.000 Nutzern aus dem Online-Portal Reddit.
Mit Hilfe der Software Word2Vec analysierte das Team ausgewählte Wörter in den Unterhaltungen. Die Software legt Wörter so an, dass diejenigen mit gleicher Bedeutung in einem "semantischen Raum" auftreten und unterschiedliche Wörter abgegrenzt werden. Außerdem fügten die ForscherInnen ein weiteres Programm hinzu, um die analytischen Fähigkeiten im Hinblick auf Semantik zu erweitern. Das Programm befasst sich mit semantischer Kohärenz.
Die ForscherInnen hielten allerdings die semantische Dichte für einen geeigneteren Indikator zur Feststellung, welche mentalen Vorgänge bei der Bildung von Sätzen ablaufen, da sie Einblicke gewährt, wie Menschen Wörter zu Sätzen organisieren.
Nachdem dem maschinellen Lernverfahren beigebracht wurde, eine "normale Basis" zu entwickeln, reichte das Team diagnostische Gespräche von 40 TeilnehmerInnen der North American Prodrome Longitudinal Study (NAPLS) ein. Dabei handelt es sich um ein 14-jähriges Projekt, die diagnostischen Fähigkeiten von ÄrztInnen im Hinblick auf Psychose-Risiken bei Jugendlichen zu schulen.
Die ForscherInnen verglichen die maschinelle Analyse der NAPLS-Gespräche mit den Basis-Daten und den Folgedaten, welche PatientInnen im Laufe der Zeit Psychosen entwickelten.
Dabei kam heraus, dass TeilnehmerInnen, bei denen Psychosen auftraten, durch mehr Klang-bezogene Worte und einen erhöhten Gebrauch von Wörtern mit gleicher Bedeutung als in "durchschnittlichen Unterhaltungen" auffielen.
Mitautorin Professor Elaine Walker sieht hierin große Vorteile: "Wenn wir in der Lage sind, zu einem früheren Zeitpunkt gefährdete Personen zu erkennen und präventive Maßnahmen ergreifen, könnten wir vielleicht die Defizite umkehren." Sie fügt hinzu: "Es gibt viele Statistiken, die belegen, dass Behandlungen wie die Kognitive Verhaltenstherapie das Auftreten einer Psychose verzögern und die Auswirkungen vielleicht sogar reduzieren kann."
Derzeit arbeiten die ForscherInnen daran, mehr Datensammlungen zusammenzustellen, um die Maschine auch im Hinblick auf andere neuronale Erkrankungen wie Demenz zu testen. Professor Wolff schließt ab: "Das Spannende an den Untersuchungen ist nicht nur ihr Potential, mehr über mentale Erkrankungen zu enthüllen. Sie gibt auch Aufschluss darüber, wie der Verstand funktioniert und Ideen zusammensetzt."
Quelle:
A machine learning approach to predicting psychosis using semantic density and latent content analysis.
Neguine Rezaii, Elaine Walker & Phillip Wolff
npj Schizophrenia 5, Article number: 9 (2019)