Es gab jede Menge Erfreuliches zu berichten auf der Vorab-Pressekonferenz zum nächsten Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie – und zwar für Patienten und Ärzte.
Erstmals ist in Europa seit Kurzem ein Medikament gegen die Riesenzellarteriitis zugelassen. In Deutschland steht die Zulassung des Wirkstoffs für die neue Therapie der seltenen Erkrankung unmittelbar bevor. Prof. Dr. Bernhard Hellmich, Chefarzt für Innere Medizin, Rheumatologie und Immunologie an der Medius Klinik Kirchheim erläuterte Wirkweise und Vorzüge von Tocilizumab. Es handelt sich um einen Antikörper, der sich an den körpereigenen Interleukin-6-Rezeptor bindet. Dadurch unterbricht er die immunologische Reaktion, die der Gefäßentzündung zugrunde liegt.
In einer Studie mit 251 Teilnehmern erhielten Patienten den Wirkstoff im 14-tägigen oder wöchentlichen Rhythmus. In beiden Gruppen lag die Remissionsrate nach einem Jahr bei 50 Prozent, obwohl bereits nach einem halben Jahr die begleitende Cortisontherapie beendet wurde. Dagegen konnten nur 18 Prozent der Patienten, die die Glukokortikoide ein Jahr lang einnahmen, dazu aber nur ein Placebo erhielten, als geheilt gelten. Prof. Hellmich ist überzeugt: "Auch wenn einige Fragen, etwa zur Therapiedauer, noch ungeklärt sind, kann Tocilizuman schon jetzt als Meilenstein bei der Therapie der Riesenzellarteriitis gelten."
Auch die Diagnose der Erkrankung hat sich sehr verbessert. Es steht nun eine nichtinvasive Methode zur Verfügung, die Farbduplex-Sonografie, mit der sich entsprechende Gefäßveränderungen gut nachweisen lassen. Eine Gewebeprobe ist dann oft nicht mehr notwendig. Das neue Verfahren ist natürlich weniger belastend für den Patienten, aber auch schneller und günstiger. Ganz entscheidende Vorteile, so kann die Zeitersparnis beispielsweise helfen, bleibende Augenschäden künftig zu vermeiden.
Für die Behandlung von rheumatoider Arthritis, stehen jetzt ebenfalls zwei neue Medikamente zur Verfügung, die jüngst in der EU zugelassen wurden: Tofacitinib und Baricitinib. Prof. Dr. Hanns-Martin Lorenz, Leiter der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg und medizinisch-wissenschaftlicher Leiter der Rheumazentrums Baden-Baden, bezeichnet die Zulassung als einen großen Erfolg, da nicht jeder Patient die bisher zur Verfügung stehenden Mittel verträgt und auch nicht jeder eine Verbesserung seiner Erkrankung erfährt. Die neue Medikamentengruppe wirkt über die Hemmung der Janus-Kinasen 1 und 3. Prof. Lorenz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, führt aus: "Mit den neuen Wirkstoffen ist es gelungen, Entzündungsprozesse, die die Arthritis hervorrufen, auf zellulärer Ebene zu unterbinden." Klinische Studien zeigen, dass die Mittel recht gut vertragen werden. So gelten die Kinase-Inhibitoren als Hoffnungsträger der Rheumatologie. "Insbesondere für Patienten, bei denen Biologika keine Wirkung zeigten," so Prof. Lorenz. Ein großer Vorteil ist auch, dass die neuen Wirkstoffe in Tablettenform eingenommen werden können. Für Tofacitinib existieren in den USA, in der Schweiz und in Russland große Datenbanken, die zeigen, dass die Therapie ähnlich sicher ist, wie jene mit Biologika und auch kaum unvorhergesehene Nebenwirkungen hervorruft. Viele Tausende Patienten, für die es bislang keine effektive Therapie gab, ist die neue Therapiestrategie eine neue Chance.
Für die Behandlung der Juvenilen Idiopathischen Arthritis mit Biologika zieht die Kinderrheumatologin Prof. Dr. Kirsten Minden von der Charité eine positive Bilanz. Die Leiterin der AG Kinder- und Jugendrheumatologie am Deutschen Rheumaforschungszentrum sieht in den Biologika eine Therapieoption, die nicht nur die akuten Symptome verbessern kann, sondern auch den langfristigen Verlauf der Krankheit günstig beeinflusst. Rund die Hälfte der jungen Rheumapatienten, hatten Funktionseinschränkungen im Bewegungsapparat, wenn sie vor etwa zehn Jahren das Erwachsenenalter erreichten. Heute erreichen ungefähr zwei Drittel die Volljährigkeit ohne diese Einschränkungen. Die Expertin freut sich: "Die jungen Menschen treten mit einer immer besseren Lebensqualität in ihre Zwanziger ein."
In der rheumatologischen Orthopädie müssen Orthopäden und Internisten eng zusammen arbeiten. Denn die endoprothetische Versorgung von Rheumapatienten ist eine besondere Herausforderung, erläutert Dr. Ludwig Bause, Chefarzt der Klinik für Rheumatologie am St. Josef-Stift Sendenhorst. Besonders bei den Eingriffen im Kinder- und Jugendalter sieht der Spezialist Handlungsbedarf. Diese sollten spezialisierte Zentren vorbehalten sein. Ist der Patient zum Zeitpunkt der Primärimplantation noch jung, sind Wechsel- und Revisionsoperationen häufiger. Wegen kleiner Gelenkgrößen und besonderer Form sind bei juvenilen Rheumaerkrankungen Individualanfertigungen angezeigt. Die Finanzierung einiger aufwendiger Versorgungsformen ist aber im DRG-System nicht kostendecken abgebildet, bemängelt Dr. Bause. Und hofft zugleich, dass die enormen Fortschritte der medikamentösen Therapien dazu führen werden, dass endoprothetische Versorgungen bei Rheumatikern künftig nicht mehr nötig sind oder in ein höheres Lebensalter verschoben werden können.
Bessere Therapien, so erläutert Rotraud Schmale-Grede, Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga, führen auch zu besserer Teilhabe der Rheumapatienten am gesellschaftlichen Leben. So gehen heute 52 Prozent der erkrankten Frauen einer Arbeit nach, gegenüber 37 Prozent vor einigen Jahren. Bei den Männern stieg der Anteil der Berufstätigen von 47 auf 60 Prozent. Dennoch: Bei der Vereinbarkeit von Rheuma und Beruf ist noch Luft nach oben. Erwerbstätigkeit wirkt sich nachweislich positiv auf den Krankheitsverlauf aus, so Rotraud Schmale-Grede. Deswegen fordert die Rheuma-Liga mehr Anstrengungen zur beruflichen Rehabilitation. Dazu gehören u.a. technische Arbeitshilfen, individuelle Hilfsmittel, flexible Arbeitszeitmodelle, beruflichen Weiterqualifizierung und finanzielle Zuschüsse.
Für die schnellere und bessere flächendeckende Versorgung der Rheumatiker wird derzeit ein neues Modell entwickelt. In der so genannten Ambulante Spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) soll ein Team von spezialisierten Ärzten sektorenübergreifend (stationär-ambulant) zusammen arbeiten. Wie das konkret aussehen soll, erklärt Prof. Dr. Heinz-Jürgen Lakomek, Vorstandsvorsitzender des Verbandes Rheumatologischer Akutkliniken und Direktor der Klinik für Rheumatologie und Geriatrie am Universitätsklinikum Minden. "Teamleiter ist der internistische Rheumatologe, er betreut den Patienten als Hauptansprechpartner und übernimmt die fachliche und organisatorische Koordination.“ Zum Kernteam gehören weitere Fachärzte: Nephrologe, Pulmologe, Dematologie, Orthopäde/Unfallchirurg mit Zusatzweiterbildung in orthopädischer Rheumatologie. Diese kommen je nach Erfordernis zu Untersuchung und Therapiefestlegung am Ort der Teamleitung zusammen. Ergänzend hinzuzuziehende Fachärzte können durch den Teamleiter per Überweisung angefordert werden.
Hilfreich soll bei diesem Vorgehen zu Buche schlagen, dass die Behandlung extrabudgetär läuft, ohne gedeckeltes Budget. Prof. Lakomek rechnet damit, dass auf diese Weise 20 bis 30 Prozent mehr Patienten behandelt werden können. "Die ASV-Struktur bedeutet für die Krankenhäuser eine Öffnung in den ambulanten Sektor und für die stationären Patienten eine direkt an die Entlassung anschließende ambulante Behandlung", erläutert er weitere entscheidende Vorteile. Einen Start für ASV wünscht sich der Experte noch für 2018.