Auch in Deutschland steigt die Zahl erfasster Infektionen mit dem neuen Coronavirus von Tag zu Tag . Die Reaktion darauf müsse verhältnismäßig und angemessen ausfallen, betont Minister Jens Spahn. Oberstes Ziel ist dabei ein Verlangsamen der Epidemie.
Bei der Ausbreitung des neuen Coronavirus geht es in den nächsten Wochen auch in Deutschland vor allem um eine Verzögerung der Epidemie. Je besser es gelinge, die Rate der Ansteckungen kleinzuhalten, desto geringer werde der Druck auf das Medizinsystem und die Gesellschaft sein, erklärte der Virologe Christian Drosten in Berlin. Bei Maßnahmen wie Schulschließungen und Veranstaltungsabsagen gehe es nicht vordringlich um das Risiko für den Einzelnen, betonte er. COVID-19 sei eine milde Erkrankung, im Grunde eine Art Erkältung, die meist rasch überstanden oder von vorherein kaum zu spüren sei. Mit den Maßnahmen lasse sich aber die Verbreitung eindämmen - und es mache einen riesigen Unterschied, ob eine Ausbreitungswelle eine Bevölkerung binnen weniger Wochen oder auf zwei Jahre verteilt zu großen Teilen erfasse.
"An bestimmten Stellen in Deutschland wird der Alltag ein Stück eingeschränkt sein müssen", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Auch er betonte, dass es dabei darum gehe, die Ausbreitung von Sars-CoV-2 zu verlangsamen, einzudämmen und damit für die gesamte Gesellschaft besser handelbar zu machen. Die Maßnahmen müssten dabei verhältnismäßig und angemessen ausfallen. Eine Schließung von Grenzen sei weiter nicht nötig. Auch die Absage von Großveranstaltungen oder die Schließung von Unternehmen bei einzelnen Nachweisen unter Mitarbeitenden seien nicht generell ratsam.
Das Robert Koch-Institut (RKI) stufte die Risikoeinschätzung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland von "gering bis mäßig" auf "mäßig" hoch. Die Lage sei sehr dynamisch und müsse jeden Tag neu bewertet werden, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler. Noch gebe es zu der von Wuhan in China ausgegangenen Erkrankung nicht genügend Daten, um klare Angaben zum Risiko für schwere oder tödliche Verläufe zu machen.
Nach den derzeitigen Daten liege die COVID-19-Mortalitätsrate bei 0,3 bis 0,7 Prozent, sagte Drosten. Das bedeutet, dass von 1.000 Infizierten 3 bis 7 sterben. Wahrscheinlich liege die tatsächliche Rate sogar noch darunter, erklärte der renommierte Virologe von der Berliner Charité.
Am schwersten abzuschätzen sei derzeit, mit welcher Geschwindigkeit sich das Virus ausbreite. Es gebe Hinweise, dass ein Infizierter im Mittel drei weitere Menschen ansteckt - dieser Wert sei aber mit großen Unsicherheiten behaftet. Gestoppt wird eine Epidemie dann, wenn ein Infizierter statistisch im Durchschnitt weniger als einen weiteren Menschen ansteckt.
Derzeit steigen die COVID-19-Zahlen in mehreren Ländern trotz teils drastischer Gegenmaßnahmen rasant. Mehr als 89.000 Infektionen mit dem neuen Coronavirus und mehr als 3.000 Todesfälle sind inzwischen weltweit erfasst. In Deutschland wurden in 10 der 16 Bundesländer Infektionen nachgewiesen. Bis zum Vormittag des 02.03.2020 waren beim RKI 150 Sars-CoV-2-Fälle erfasst. Im Saarland und den meisten neuen Bundesländern gab es zunächst keine Nachweise.
Erstmals wurde in Berlin eine Ansteckung erfasst: Ein junger Mann mit COVID-19 wird in der Charité behandelt. 60 Kontaktpersonen seien bislang identifiziert, teilte die Senatsverwaltung für Gesundheit mit. Sie seien in Berlin und Nordrhein-Westfalen häuslich isoliert. Das am schwersten betroffene Bundesland bleibt Nordrhein-Westfalen mit deutlich mehr als 80 nachgewiesenen Fällen.
Für den schwer erkrankten 47 Jahre alten mutmaßlichen Erstinfizierten aus NRW, der in der Düsseldorfer Universitätsklinik behandelt wird, gebe es nach wie vor keine Entwarnung, sagte eine Kreissprecherin. Seiner Frau gehe es aber deutlich besser. Der 47-Jährige und seine ein Jahr jüngere Frau hatten am 15. Februar in Gangelt bei einer Sitzung Karneval gefeiert. Dabei sollen sie zahlreiche andere Teilnehmende angesteckt haben.
In Baden-Württemberg und Bayern sollen Schülerinnen und Schüler nach dem Ende der Faschingsferien zu Hause bleiben, wenn sie sich in einem Risikogebiet aufgehalten haben. In Bayern mussten nach einem Sars-CoV-2-Nachweis bei einem Mitarbeiter rund 1600 Beschäftigte der Firma DMG Mori zuhause bleiben. Zunächst soll ermittelt werden, welche Personen engen Kontakt zu dem erkrankten 36-Jährigen hatten. In München wurde ein BMW-Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus Sars-CoV-2 getestet.
Behörden in vielen Ländern erlassen derzeit Maßnahmen wie Schulschließungen und eine Quarantäne für Verdachtsfälle. Bei manchen Menschen lässt das den Eindruck entstehen, es müsse sich bei COVID-19 um eine besonders gefährliche Erkrankung handeln. Der Hintergrund solcher Maßnahmen ist aber ein anderer: Eine ungebremste Infektionswelle könnte unter anderem volle Wartebereiche und Arztpraxen, belegte Intensivbetten und überlastete Gesundheitsämter bedeuten. Daher ist das Ziel, die Ausbreitung über einen möglichst langen Zeitraum zu strecken. In etwa einem Jahr könnte es eine schützende Impfung gegen den neuen Erreger geben.
Die Inkubationszeit - der Zeitraum zwischen Infektion und Beginn von Symptomen - beträgt nach derzeitigem Stand meist 2 bis 14 Tage. Das ist der Grund dafür, dass Verdachtsfälle derzeit meist etwa zwei Wochen lang isoliert werden.
In Europa ist Italien das am stärksten betroffene Land - es ist zudem eines der nach offizieller Statistik am stärksten von der Epidemie erfassten Länder der Welt. Bei vielen Ländern gehen Fachleute allerdings von einer hohen Dunkelziffer nicht erfasster Fälle aus.
Die Zahl der Toten in Italien liege bei 34, teilte Zivilschutzchef Angelo Borrelli am 29.02. in Rom mit. Rund 1.700 Infektionen wurden demnach bisher erfasst. Die Regierung plant ein Hilfspaket für die durch die COVID-19-Epidemie zusätzlich angeschlagene Wirtschaft in Höhe von 3,6 Milliarden Euro.
Die EU-Gesundheitsagentur ECDC stufte das Risiko durch COVID-19 in der Europäischen Union von moderat auf hoch herauf. Insgesamt wurden nach Angaben der EU-Kommission inzwischen mehr als 2.000 Sars-CoV-2-Infektionen in 18 EU-Staaten nachgewiesen. In den fünf nordischen Ländern gab es bis zum 02.03. rund 40 bestätigte Fälle, in Frankreich rund 130, in Spanien deutlich über 100. Auch aus Portugal gab es erste Meldungen zu eingeschleppten Infektionen.
Weltweit ist neben dem Ursprungsland China weiterhin Südkorea am stärksten von COVID-19 betroffen. Dort stieg die Zahl nachgewiesener Infektionen auf mehr als 4.300, mehr als 25 Todesfälle sind inzwischen erfasst. In den USA gibt es nach örtlichen Medienberichten mehr als 70 nachgewiesene Fälle, mindestens zwei Menschen starben an COVID-19.
In Japan schlossen am Montag die meisten Schulen für einen Monat. In dem Land sind inzwischen rund 1.000 Infektionen und 12 Todesfälle registriert, ein Großteil bei Reisenden und Crewmitgliedern des Kreuzfahrtschiffes "Diamond Princess".
Weltweit machen sich wirtschaftliche Folgen der Epidemie immer stärker bemerkbar. Die Industriestaaten-Organisation OECD erwartet im laufenden Jahr nur noch ein Wachstum der globalen Wirtschaft von 2,4 Prozent. Das ist ein halber Prozentpunkt weniger als zuletzt vorhergesagt. Im Vorjahr hatte die Wirtschaft weltweit noch um 2,9 Prozent zugelegt.
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