WissenschaftlerInnen der Dermatologischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) haben in PIANP einen Faktor entdeckt, der eine Rolle bei Autismus-Spektrum-Störungen spielen könnte. PIANP ist ein vor 9 Jahren von der Arbeitsgruppe identifiziertes, bisher wenig verstandenes Typ-1-Transmembranprotein, das vor allem im Zentralnervensystem exprimiert wird.
Eine Fallbeschreibung eines Jungen aus Saudi-Arabien, die 2017 in Molecular Psychiatry publiziert wurde, gab bereits einen ersten Anhaltspunkt, dass PIANP eine Rolle bei neuronalen Entwicklungsstörungen spielen könnte. Der Junge wies einen vollständigen Funktionsverlust des PIANP-Gens auf. Dies ging mit einer ausgeprägten, globalen Entwicklungsverzögerung einher. Diese Hypothese wird von der aktuellen Arbeit Mannheimer WissenschaftlerInnen unter der Leitung von Professor Dr. Cyrill Géraud unterstützt.
Anhand eines präklinischen Mausmodells konnten sie zeigen, dass die Abwesenheit des PIANP-Gens, das zwischen Mensch und Maus hoch konserviert ist, ebenfalls mit dem Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten assoziiert ist. Es zeigte sich, dass Mäuse, denen das Gen fehlte, Veränderungen im Angstverhalten, im räumlichen Lernvermögen sowie im Sozialverhalten aufwiesen. Die Tiere zeigten ein deutlich geringeres Interesse an der Interaktion mit anderen Mäusen und verstärkt repetitive Verhaltensweisen. Diese Auffälligkeiten werden als charakteristische Merkmale der Störungen, die dem Autismus-Spektrum zuzuordnen sind, angesehen.
PIANP wurde erst kürzlich als Bestandteil des GABA-Rezeptor-Komplexes identifiziert. Dass die Signalübertragung über GABA an einer Vielzahl von Erkrankungen des Nervensystems beteiligt ist, ist bekannt. Allerdings gab es bisher eher wenige und teils widersprüchliche Hinweise, wie dieser Signalweg an der Entwicklung von Autismus-Spektrum-Störungen bedeutend beteiligt ist.
Die biologische Charakterisierung des Gens im präklinischen Modell ergab nun, dass die Funktion von PIANP mit der Signalübertragung über GABA-Rezeptoren verknüpft ist und dessen Abwesenheit in einer veränderten Zusammensetzung von Nervenzellen im Hippocampus und Kleinhirn resultiert, die auch beim Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen anzutreffen ist.
Konkret konnten die WissenschaftlerInnen nachweisen, dass PIANP die Größe und Zusammensetzung der Nervenzellen des Kleinhirns und des Hippocampus verändert, einschließlich einer Verringerung von Purkinje-Zellen, den größten Nervenzellen der Kleinhirnrinde. Purkinje-Zellen haben sich in den vergangenen Jahren als sehr bedeutend für Autismus-Spektrum-Störungen herausgestellt. Zudem konnte erstmals gezeigt werden, dass die durch den GABA-Rezeptor vermittelte Hemmung der Glutamat-Freisetzung bei Abwesenheit von PIANP beeinträchtigt ist, ebenso wie die Genexpression in verschiedenen Hirnregionen.
"Unsere aktuelle Arbeit identifiziert damit nicht nur ein neues Kandidatengen für neuronale Entwicklungsstörungen, das insbesondere für weitere Untersuchungen von Autismus-Spektrum-Störungen von Interesse sein wird“, betonte Professor Géraud: "Sie verbessert auch das Verständnis dafür, wie Signalübertragung mittels GABA moduliert werden kann."