Unbestritten ist die Bedeutung körperlicher Aktivität für die Gesundheit. Erwachsene sollten sich mindestens 150 Minuten pro Woche körperlich bewegen – das gelingt nicht mal der Hälfte der Menschen. Verschiedene Aspekte der Bewegungsförderung bei Diabetes beleuchtet deswegen eine Session auf dem DDG-Kongress. Zur "Bewegungsunterstützung in einer digitalen Welt" referierte Dr. Meinolf Behrens, Facharzt für Innere Medizin, Ernährungsmediziner, Sportmediziner und Diabetologe.
Am Computer sitzen gehört ganz sicher nicht zu den gesündesten Tätigkeiten. Aber die Digitalisierung hat dennoch auch positive Aspekte für DiabetikerInnen, die sich bewegen wollen und sollen. Dr. Behrens beleuchtete darum die Chancen und Möglichkeiten der digitalen Welt - vor allem den Nutzen von Apps, Wearables, Fitnessportalen, Digitalem Coaching, Exergaming.
Digitale Gesundheitsanwendungen müssen zertifiziert sein, um zugelassen zu werden. Ein Diabetes-App-Siegel soll hier Klarheit schaffen. Für die Diabetologie gibt es aktuell nur eine zugelassene App: Zanadio. Es geht um Ernährung, Bewegung und Verhaltenstherapie. Sie kann per Rezept verschrieben werden wie ein Medikament. Weitere Apps werden geprüft.
Sie erfassen Vitalparameter – das Spektrum ist breit: Schrittzähler, smarte Brillen, smarte Kopfhörer, smarter Schmuck. Die Menge der zu erfassenden Parameter ist gigantisch: Schritte, Aktivitätszeiten, demnächst auch Glukosewerte, bis hin zum emotionalen Status und kognitiven Funktionen. Eine Initiative europäischer Sportwissenschaftler erarbeitet gerade Empfehlungen zur Validierung von Schrittzählern und Herzfrequenzmessgeräten, um auf diesem Weg gute wissenschaftliche Ergebnisse zu erhalten.
Diese Verbindung von Computerspielen mit körperlicher Aktivität über Virtual Reality Glasses hat Potenzial. Dazu liegen ermutigende Daten vor, laut denen beim Exergaming BMI, Körperfett und HbA1c-Wert und auch kardiovaskuläre Parameter verbessert werden.
Die dynamische Pumpen- und Sensorentwicklung fördert auf ihre Weise die körperliche Aktivität der Typ-1-Diabetes-PatientInnen. Weitere positive Effekte durch Neuzulassung von Therapien sind zu erwarten.
Telemedizin erleichtert die Behandlung und Betreuung von PatientInnen. Ein Beispiel ist die VIDEA-App, die zur Bewegung anregen soll. Sie ist von der Zentralen Prüfstelle für Prävention anerkannt. Eine interessante Initiative bietet Diabetes.de an. Hier gehen ÄrztInnen mit Prominenten spazieren, sprechen über Bewegung und laden dazu ein, diesen Spaziergang nachzumachen.
Vorteil ist hier die breite Auswahl an Trainings, es entfällt die Anfahrt, man kann trainieren, wann immer man möchte. Preise: Ab 13 Euro im Monat. Die persönliche qualifizierte Anleitung entfällt allerdings.
Eine der wichtigsten Aufgaben bei der Bewegungsförderung, ist es, die Eigenmotivation zu aktivieren. Die Hamburger Psychologin und diabetologische Psychotherapeutin Susan Clever sprach über das so genannte Motiventional Interviewing (MI). Das ist eine Technik zur intrinsischen Motivation zur Bewegung.
Die Kernbotschaft: Man kann Menschen nicht wirklich von außen motivieren. Bei MI geht es um gemeinsame Entscheidungsfindung. Menschen sind meist ambivalent hinsichtlich gesundheitsbezogener Verhaltensänderungen. Sie sind Fachleute für sich selbst. Es gibt keine Evidenz, dass Menschen sich eher ändern, wenn man dafür sorgt, dass sie sich schlecht fühlen, etwa durch Angst oder Scham. Das Gespräch muss anknüpfen an die Patientenbedürfnisse. Es geht um Patientenautonomie, der Ausgang des Gespräches muss offen sein. Wenn die Entscheidung respektvoll und empathisch getroffen wird, kommt der Patienten wieder zum Gespräch, wenn sich seine Umstände ändern. Schon zwei ausführliche, einfühlsame Beratungsgespräche zeigen in Studien einen deutlichen Effekt.
Es geht in Richtung Change Talk. Die Frage ist, was die Patientin oder der Patient verändern will, warum er das ändern will. Das ist der Ausgangspunkt. Das Gegenteil ist der Sustain Talk, dabei berichten PatientInnen über inneren Barrieren. Hier zeigt sich die Ambivalenz und der Widerstand der PatientInnen. Darauf muss reflektierend eingegangen werden. Widerstände müssen ÄrztInnen kennen, doch der Change Talk steht im Vordergrund. Ein Follow up ist dabei sehr wichtig. Die Auswertung muss unbedingt erfolgen, wenn die Patientin oder der Patient etwas unternommen hat, was besprochen wurde.
Auch bei der baulichen Städteentwicklung bietet sich die Chance, die Alltagsbewegung zu fördern. Wie man eine Stadt bewegungsfreundlich gestaltet, darüber sprach der Architekt Prof. Dr. Martin Knöll aus Darmstadt. Er forscht u.a. an den städtischen Einflussfaktoren auf Bewegung und Diabetestherapie. "Inklusiv, grün, offen" war der Titel seines Vortrags.
Weniger Autos, mehr Fahrrad, Grünflächen – das waren seine Themen. Gute Stadtgestaltung lässt sich tatsächlich an Gesundheitsparametern der EinwohnerInnen dokumentieren. Ein Beispiel: Die App Walkscoore kann berechnen, wie bewegungsfreundlich ein Wohnort ist. Das ist nur ein kleiner Anhaltspunkt zur so genannten Walkability. Klar wird hier, wie Wohnen und Bewegung zusammenhängen. Der Einfluss der gebauten Umwelt auf die individuelle Gesundheit, also auch auf die Abwesenheit von Typ-1 oder Typ-2-Diabetes, ist sehr groß. Das bedeutet eine hohe Verantwortung und zugleich ein Riesenpotential für Stadtplaner und Architekten. Prof. Knöll will sich jedenfalls um mehr Walkability kümmern.
Quelle: DDG-Kongress 13.5.2021, Verschiedene Aspekte der Bewegungsförderung bei Diabetes