Schmerzfrei durch Gentherapie?

Forschungsarbeit des University College London initiiert neue Hoffnung für all diejenigen, die von chronischen und bisher therapieresistenten Schmerzen geplagt werden.  Menschen, die mit einem best

Forschungsarbeit des University College London initiiert neue Hoffnung für all diejenigen, die von chronischen und bisher therapieresistenten Schmerzen geplagt werden.

 Menschen, die mit einem bestimmten und sehr seltenen Gendefekt geboren werden, sind nicht in der Lage, physische Schmerzen zu empfinden. Vergangene Versuche, die Empfindung mit Hilfe von Medikamenten wiederherzustellen, waren entgegen großer Hoffnungen weitgehend enttäuschend. Wissenschaftlern vom University College London ist es nun mit Hilfe von genmodifizierten Mäusen gelungen, die Ursache für die Schmerzlosigkeit zu identifizieren. Die Entdeckung schürt neue Hoffnungen für all diejenigen, die von chronischen und bisher therapieresistenten Schmerzen geplagt werden.  Finanziert wurde die Studie (DOI:10.1038/ncomms9967) durch das britische Medical Research Council sowie durch Gelder von Wellcome Trust.

“Kanäle”, die es ermöglichen, Meldungen entlang der Membranen unserer Nervenzellen zu übertragen, sind entscheidend für die elektrische Signalübertragung des menschlichen Nervensystems. Im Jahr 2006 konnte gezeigt werden, dass der membranständige Natriumkanal Nav1.7 besonders wichtig für das Empfinden von Schmerzen ist. Seine Wichtigkeit bei der Schmerzübertragung wird deutlich, wenn man Menschen betrachtet, bei denen dieser Kanal durch einen genetischen Defekt funktionsuntüchtig ist – sie haben keinerlei Schmerzempfinden. Seither wurden verschiedene Medikamente entwickelt, die Nav1.7 blockieren. Allerdings zeigten sie nur enttäuschend schwache Wirkungen.

Die neue Studie, welche im Journal Nature Communications veröffentlicht wurde, fand nun heraus, dass Menschen und Mäuse, denen der Nav1.7 fehlt, darüber hinaus deutlich höhere Spiegel endogener Opioidpeptide produzieren – als gesunde Individuen.

Mäuse erlangten Schmerzempfindlichkeit durch Opioid-Blocker Naloxon zurück

Diese neue Entdeckung wurde durch den Einsatz von sogenannten transgenen Mäusen ermöglicht. Dabei handelt es sich um Mäuse, die so modifiziert wurden, dass sie genetisches Material eines anderen Organismus in sich tragen. Im Fall dieser Studie wurde das Erbgut der Tiere so verändert, dass sie nicht mehr in der Lage waren, Schmerzen zu empfinden. Auf diesem Weg erstellten die Forscher ein Mausmodell für die menschliche Mutation des Nav1.7. Hochpräzise physiologische Messungen zeigten bei diesen Mäusen etwa doppelt so hohe Konzentrationen natürlicher Opioide als bei genetisch nichtmodifizierten Tieren aus demselben Wurf.

Um zu untersuchen, ob die vermehrt vorhandenen Opioide für die Schmerzlosigkeit mitverantwortlich waren, gaben die Forscher den Mäusen ohne funktionierenden Ionenkanal den Opioid-Blocker Naloxon. Die Arbeitsgruppe stellte fest, dass die Mäuse dadurch ihre Fähigkeit Schmerz zu empfinden, zurückerlangten. Im Folgenden gaben sie einer 39-jährigen Frau mit dem seltenen Gendefekt den Opioidblocker, woraufhin auch sie zum ersten Mal in ihrem Leben Schmerz empfinden konnte.

“Nach einem Jahrzehnt eher enttäuschender Medikamentenstudien, konnten wir jetzt bestätigen, dass Nav1.7 tatsächlich ein Schlüsselelement bei der menschlichen Schmerzempfindung darstellt”, sagt Erstautor Professor John Wood (UCL-Medicine). “Die geheime Zutat, die uns all die Zeit jedoch fehlte, waren die guten alten Opioidpeptide. Diese sollten die Schmerzlosigkeit, die von Menschen mit der seltenen Mutationen erfahren wird, reproduzieren. Wir haben den neuen Behandlungsansatz bereits erfolgreich an genmodifizierten Mäusen getestet.”

Wenige selektive Natriumkanalblocker sind als Lokalanästhetika bereits weit verbreitet. Allerdings sind sie nicht für eine langfristige Schmerztherapie geeignet, da sie eine vollständige Taubheit erzeugen und im Laufe der Zeit schwerwiegende Nebenwirkungen hervorrufen können. Im Gegensatz dazu können Menschen ohne funktionierenden Nav1.7 nicht-schmerzhafte Berührung normal empfinden und haben als einzige bekannte Nebenwirkung eine Ansomie.

Millionen von Menschen mit chronischen Schmerzen können auf ein Leben hoffen, das schmerzfrei ist

Opioidanalgetika wie zum Beispiel Morphine, sind zwar sehr effektiv, können aber bei langzeitiger Anwendung zu Abhängigkeit und Toleranzentwicklung führen. Je mehr sich der Körper an das Medikament gewöhnt, desto uneffektiver wird seine Wirkung. Infolgedessen muss die Dosis erhöht werden, um einen gleichen Effekt zu erzielen. Dies führt wiederum zu ernsteren Nebenwirkungen und letztendlich verlieren die Präparate ihre Wirkung ganz.

Verwendet man Opioide jedoch in Kombination mit Nav1.7-Blockern, ist die erforderliche Dosis zur erfolgreichen Schmerzbekämpfung nur sehr gering. Menschen, die mit einem defekten Nav1.7 geboren wurden, produzieren vergleichbar hohe Opioidkonzentrationen über ihr ganzes Leben hinweg, ohne dabei eine Toleranz oder unerwünschte Nebenwirkungen zu entwickeln. Die Londoner Entdecker dieses Phänomens hoffen nun, dass sie eine klinische Studie mit dem Kombinationspräparat bis 2017 veranlassen können, um zu überprüfen, ob sich die Effekte der Mutation auf diesem Wege tatsächlich reproduzieren lassen. Sollte sich der Ansatz als richtig erweisen, könnte er Millionen von Menschen mit chronischen Schmerzen neue Hoffnung auf ein Leben machen, das sich schmerzfrei gestaltet.

“Unsere Ergebnisse bekräftigen, die klinische Relevanz des transgenen Mausmodells für menschliche Krankheiten”, sagt Professor Wood. “Mit Hilfe dieses Mausmodells war es uns möglich herauszufinden, was im Nervensystem von Organismen ohne Schmerzempfindung wirklich vor sich geht. Unsere Ergebnisse waren dabei direkt auf den Menschen übertragbar, wie der Versuch an einer betroffenen Frau zeigen konnte. Ohne die Arbeit mit transgenen Mäusen wäre nichts von all dem möglich gewesen und wir würden nach wie vor nicht wissen, wie sich die Effekte der Mutation replizieren lassen, um Schmerzpatienten zu helfen.”

Text: esanum/ pvd

Foto: igor.stevanovic / Shutterstock.com