Die meisten Schlaganfälle entstehen durch Blutgerinnsel – eine Arterie verstopft plötzlich und im Gehirn kommt kein Blut mehr an. Bleibende Schäden können verhindert werden, wenn der Thrombus schnellstmöglich aufgelöst oder entfernt wird – entweder durch eine medikamentöse Therapie (Lysebehandlung) oder durch einen Gefäßkatheter- bzw. endovasalen Eingriff. Pünktlich zum Weltschlaganfalltag am 29. Oktober bestätigt eine große Metaanalyse nun die Vorteile des Kathetereingriffs bei schwereren und mittelschweren Schlaganfällen. Dafür muss diese Therapieoption aber auch PatientInnen aus ländlichen Regionen zugänglich gemacht werden.
Die häufigste Ursache eines Schlaganfalls: ein plötzlicher Durchblutungsstopp bzw. eine Minderdurchblutung, weil eine Gehirnarterie durch ein Blutgerinnsel (Thrombus) verstopft wird. Es kommt zum Sauerstoffmangel im Hirngewebe und je nach betroffener Hirnregion zur entsprechenden Schlaganfallsymptomatik. Da bereits nach 4,5 Stunden bleibende Schäden entstehen, muss der Blutfluss so schnell wie möglich wiederhergestellt werden. Entweder durch eine medikamentöse Thrombusauflösung (intravenöse Thrombolyse/kurz: Lysebehandlung) oder in spezialisierten Zentren durch einen Gefäßkatheter- bzw. endovasalen Eingriff (interventionelle Thrombektomie).
Die endovasale Therapie beim akuten ischämischen Schlaganfall ist mit einem Evidenzgrad 1 belegt. Aber hat die Therapie auch bei allen PatientInnen Vorteile? Auch bei jenen mit nur leichter Symptomatik (NIHSS-Score <6) und bei jenen mit schwerer Symptomatik (ASPECT-Score <6)? Wie sehen die Therapie-Ergebnisse aus, wenn die Behandlung nicht im „Studien-Setting“, sondern in klinischen Alltag durchgeführt wird?
In der gerade publizierten Metaanalyse wurden 15 randomisiert-kontrollierte Studien (RCTs, Patientenzahl n=3.694) und 37 Observationsstudien (n=9.090) zwischen 2009 und 2019 ausgewertet, die beide Therapieprinzipien miteinander verglichen. Drei Gruppen wurden basierend auf den Bildgebungsdaten der PatientInnen zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme eingeteilt:
Anhand der modifizierten Rankin-Skala (mRS: Ausmaß der Behinderung: Score 0-6, wobei 0=keine Symptome und 6=Tod) wurde das Outcome gemessen, außerdem die 90-Tages-Mortalität und die Rate symptomatischer Hirnblutungen in den ersten 24 Stunden nach Behandlung.
Im Ergebnis war die Thrombektomie in den randomisierten Studien der Lysebehandlung überlegen (p <0,001 für einen geringeren Behinderungsscore; p=0,033 für Mortalität). In den „real life“-Settings der Observationsstudien profitierten aber nicht alle PatientInnen gleichermaßen von dem Eingriff. Die Thrombektomie war bei PatientInnen mit mittelgradigen Schlaganfällen mit einem geringeren Behinderungsausmaß (besseren mRS-Werten; häufiger Score 0-2) und einer niedrigeren Mortalität assoziiert. Allerdings gab es bei diesen PatientInnen nach dem Eingriff mehr Hirnblutungen.
Bei PatientInnen mit schweren Hirninfarkten war das invasive Verfahren mit weniger Behinderungen und niedrigerer Mortalität assoziiert, hinsichtlich der Hirnblutungen gab es keinen Unterschied – diese PatientInnen profitierten also besonders von der Behandlung. PatientInnen mit leichten Schlaganfällen hatten hingegen keine Vorteile im Hinblick auf das Ausmaß der Behinderung durch die Thrombektomie, darüber hinaus ging der Eingriff in dieser Gruppe mit einer höheren Mortalität und Hirnblutungs-Rate einher.
Der Einsatz der endovasalen Thrombektomie wäre also bei PatientInnen mit schweren und mittelschweren Schlaganfällen das Verfahren der ersten Wahl. Im Gegensatz zu den aktuellen Leitlinien unterstützen die Daten der Metaanalyse aber nicht den Einsatz des Verfahrens bei PatientInnen mit leichten Schlaganfällen (MSG; NIHSS-Score <6). Bei der Behandlung müssten laut DGN neben der Schwere des Insults auch Faktoren wie das mögliche Narkoserisiko bei älteren Menschen beachtet werden.
Die Studie zeige aber auch die Notwendigkeit, die Versorgungsstrukturen zu verbessern und Netzwerke zu bilden, um auch Menschen in ländlichen Regionen den Zugang zur mechanischen Thrombektomie in einem erfahrenen Zentrum zu ermöglichen. Während man für die Lysebehandlung nur ein Behandlungsfenster von 4,5 Stunden habe, profitierten schwerer Betroffene auch noch später von einer Thrombektomie.
Weitere Themen werden vom 4. bis zum 7. November 2020 beim digitalen DGN-Kongress behandelt.
Quelle:
Zhao Z, Zhang J, Jiang X et al. Is Endovascular Treatment Still Good for Ischemic Stroke in Real World?: A Meta-Analysis of Randomized Control Trial and Observational Study in the Last Decade. Stroke 2020 Sep 14 Online ahead of print. DOI: 10.1161/STROKEAHA.120.029742