Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue Studie, die unlängst online im Wissenschaftsjournal BMJ Quality & Safety veröffentlicht wurde. Die Ursache dafür liegt möglicherweise darin, dass die erforderliche mentale Arbeit zum Umgang mit einem problematischen Patienten den Versorger von seiner eigentlichen Arbeit ablenkt. Die korrekte Verarbeitung klinischer Information ist somit gestört und führt zu Fehlern seitens der Ärzteschaft schlussfolgert man in der Studie.
Es wird angenommen, dass das Verhalten des Arztes gegenüber solchen Patienten letztendlich seine Treffsicherheit bei der Diagnosestellung negativ beeinträchtigt. Allerdings gibt es bis jetzt keinerlei empirische Evidenz, die diese These stützen kann.
Deshalb machten es sich einige Wissenschaftler zum Ziel diese Vermutung im Rahmen einer Studie zu überprüfen: Um dies zu erreichen rekrutierten sie 63 Ärzte, die sich im letzten Jahr vor ihrer Facharztprüfung zum Allgemeinmediziner befanden. Sie wurden im Folgenden mit einer von zwei möglichen Versionen von insgesamt 6 klinischen Fallszenarien konfrontiert. Eine Version stellte dabei einen “schwierigen” Patient mit einem der sechs Krankheiten dar, währenddessen die zweite Version das jeweils gleiche Krankheitsbild, jedoch ohne störendes Verhalten (neutral), wiederspiegelte.
Die schwierigen Verhaltensweisen, die in den Fällen dargestellt wurden beinhalteten einen anspruchsvollen Patienten; einen aggressiven Patienten; einen, der die jeweilige ärztliche Kompetenz in Frage stellt; einen, der den Rat des Arztes ignoriert; einen, der findet vom Arzt nicht ernst genug genommen zu werden sowie einen Patienten, der völlig hilflos ist.
Die sechs dargestellten Erkrankungen waren: eine Lungenentzündung; ein Blutgerinnsel in der Lunge (Lungenembolie ); eine Gehirnentzündung (Meningoenzephalitis); eine Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose); eine Appendizitis sowie eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse in der Folge eines Alkoholabusus (akute alkoholische Pankreatitis).
Die drei letztgenannten Fälle wurden als besonders komplex eingestuft. Alle Ärzte erhielten vorab eine kurze Beschreibung der Krankenhistorie des Patienten, Informationen zu ihren Symptomen und die Ergebnisse der körperlichen Untersuchung.
Die Ärzte wurden gebeten, die wahrscheinlichste Diagnose so schnell wie möglich zu notieren. Im Anschluss mussten sie den gleichen Fall nochmal überprüfen, indem sie Argumente für und gegen ihre Diagnose auflisteten. Darauf basierend forderte man die Ärzte auf, die wahrscheinlichste Differentialdiagnose zu vermerken, falls ihre erste Vermutung falsch sein sollte. Abschließend wurden sie gebeten, die Sympathie des Patienten mit Hilfe einer validierten (Likert) Skala zu bewerten.
Die Ergebnisse zeigten, dass die diagnostische Genauigkeit bei den einfacheren Fällen erwartungsgemäß höher ausfiel. Allerdings war die Wahrscheinlichkeit einer Fehldiagnose um 42% erhöht, wenn ein Arzt einen schwierigen Patienten mit einem komplexen Fall zugeteilt bekam. Bei den einfacheren Fällen war die Fehlerquote im Vergleich zu “neutralen” Patienten um 6% erhöht.
Diese Ergebnisse blieben, unabhängig vom benötigten Zeitaufwand, konstant. Darüber hinaus verbesserte die anschließende Reflexion die diagnostische Genauigkeit zwar, konnte jedoch nicht die Auswirkungen von störenden Verhaltensweisen komplett ausgleichen. Die durchschnittlichen Sympathiewerte fielen bei den problematischen Patienten deutlich geringer aus, als bei jenen mit neutralem Auftreten und Verhalten.
In einer zweiten Studie wurden 74 Krankenhausärzte dazu aufgefordert acht klinische Fallszenarien zu diagnostizieren. Die eine Hälfte der Fälle schloss Patienten mit schwierigen Verhaltensweisen ein, währenddessen die zweite Hälfte neutrale Verhaltensweisen darstellte. Die zusätzlichen Verhaltensweisen in dieser zweiten Studie beinhalteten einen Patienten, der den Arzt bedroht sowie einen weiteren, der den Doktor der Diskriminierung beschuldigt. Nachdem die Probanden ihre Diagnose gestellt hatten, wurden sie gebeten, sich an die klinischen Befunde und Verhaltensweisen der einzelnen Patienten zu erinnern.
Die diagnostische Genauigkeit war bei schwierigen Patienten 20% niedriger, obwohl die investierte Zeit für die Diagnose ähnlich der bei neutralen Patienten war. Die Ärzte erinnerten sich bei den problematischen Patienten verhältnismäßig an weniger klinische Befunde (30% gegenüber 32,5%) und an mehr Verhaltensweisen (25% gegenüber 18%).
Dies deute laut den Machern der Studie daraufhin, dass die mentale Energie, welche in das problematische Verhalten eines Patienten investiert wird, die korrekte Verarbeitung dargebotener klinischer Information stört.
Die Arbeitsgruppe sieht jedoch ein, dass ihre Fallsimulationen nicht unbedingt wirkliche Arzt-Patienten-Interaktionen und damit die klinische Praxis reflektieren. Gleichzeitig wenden sie jedoch ein, dass mögliche Auswirkungen schwieriger Verhaltensweisen im wirklichen Leben eher stärker ausfallen dürften als in der Simulation.
Alles in allem kommen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass, obwohl vielerorts gefordert wird, dass Ärzte über dem Verhalten schwieriger Patienten stehen sollten, es dennoch Tatsache sei, dass solche Patienten Reaktionen auslösen, welche den Verstand der Ärzte stören, Urteile negativ beeinflussen und letztendlich zu Fehlern führen.
Sie schlagen folglich vor, dass mehr Bemühungen unternommen werden, um das Bewusstsein von Medizinstudenten und Ärzten dafür zu steigern.
In einem verknüpften Leitartikel, erklären Dr. Donald Redelmeier und Edward Etchells vom Zentrum für Qualitätsverbesserung und Patientensicherheit an der University of Toronto, Kanada, dass die Ergebnisse frühere Analysen bestätigen. Dies deute darauf hin, dass unangenehme Menschen dazu neigen, ungünstige Ergebnisse zu erhalten.
Sie regen deshalb dazu an, dass Ärzte versuchen sollten mit Hilfe gesteigerter Reflexion, Teamarbeit und dem Einsatz von Checklisten oder computergestützter Diagnostik die Auswirkungen der schwierigen Verhaltensweisen auf die diagnostische Genauigkeit abzumildern.
Text: esanum /pvd
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